Die Digitalisierung hat unseren Alltag auf vielfältige Weise erreicht. Was viele jedoch noch nicht verinnerlicht haben: Gerade die Landwirtschaft setzt auf digitale Unterstützung, vor allem, um die körperliche Arbeit leichter und das Wirtschaften effizienter zu machen.
Mit dem digitalen Wandel entstehen in der Landwirtschaft viele neue berufliche Chancen und Perspektiven. So fliegen beispielsweise Drohnen über Felder, sammeln Daten über den Zustand der Ackerkulturen und geben Empfehlungen zur weiteren Pflege. Webcams zeichnen die Bewegung von Kühen im Stall auf, Boli messen die Pansenaktivität und Körpertemperatur und Roboter übernehmen Stalltätigkeiten wie das Melken, Füttern und Spalten abschieben.
Dies zeigt, die Digitalisierung in der Landwirtschaft ist nicht mehr nur ein Trend, sondern ein kontinuierlicher Prozess und macht deutlich, dass es in der Landwirtschaft unzählige Einsatzfelder für digitale Techniken gibt. Sie bringen auch im Hinblick auf eine klimaschonende und nachhaltige Bewirtschaftung einen Mehrwert. Und Smart oder Precision Farming ist in vielen Betrieben bereits Realität.
Welche Konsequenzen die Digitalisierung für die Qualifikationsprofile, für die berufliche Ausbildung und den Arbeitsmarkt in der Landwirtschaft hat, ist im Detail noch nicht absehbar. Eins zeichnet sich aber ab: schon in der nahen Zukunft werden Kenntnisse in der IT-Anwendung zu einer der wichtigsten Anforderungen an die Beschäftigten in der Landwirtschaft, in unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen. Umfassende und systemische Kompetenzen werden sicher bei der Arbeit in großen Betrieben gefragt sein, „Inselwissen“ dagegen kann in kleineren Betrieben eventuell schon ausreichen.
Das Problem: Bildungsfachleute sehen im Hinblick auf das Thema „Digitalisierung“ derzeit große Defizite in der beruflichen Ausbildung von Landwirtinnen und Landwirten, vor allem, weil entsprechend geschultes Lehrpersonal fehlt.
Da die beruflichen Bildungseinrichtungen in der Ukraine (Berufsschulen, Agrarcolleges etc.) weniger denn je von übereinstimmenden Voraussetzungen betrieblicher Lernerfahrungen ihrer Schülerschaft ausgehen können, stehen sie vor der schwierigen Aufgabe, die Komplexität ihres berufsbezogenen Bildungsauftrags hinsichtlich der neuen Bildungsherausforderungen bei voraussichtlich zunehmender Heterogenität ihrer Schülerschaft bewältigen zu müssen.
Die aktuelle Situation in der landwirtschaftlichen Berufsbildung der Ukraine
Der landwirtschaftliche Arbeitsmarkt unterliegt einem kontinuierlichen Wandel, der sich auch auf aktuelle und zukünftige Anforderungen an die berufsspezifische Ausbildung auswirkt.
Das Rad der Entwicklung hat sich seit dem Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 1991 in der Ukraine buchstäblich überschlagen.
Biotechnologie und Gentechnik, Nachhaltigkeit, Biodiversivität und Ökologische Landwirtschaft, GPS-Technologie, Drohnen und sensorgestützte Ausrüstung, Digitalisierung und Smart Farming sind nur einige Stichworte dazu.
Es sind Themen, die für die berufliche Ausbildung immer mehr an Bedeutung gewinnen, aber bislang nur punktuell in den Lehrplänen verankert werden konnten und somit noch nicht zum täglichen Handwerkszeug der beruflichen Ausbildung in der Ukraine gehören. Oft hängt dies von dem jeweiligen College und seinen Lehrkräften ab. Sie entscheiden nach eigenen Neigungen und Kenntnissen (z. B. Digital-Affinität), welche Themen in den Unterricht Eingang finden.
Vor diesem Hintergrund ist es sehr befremdlich, dass seitens des Gesetzgebers bisher nicht die Initiative ergriffen wurde und diese Themen immer noch auf die Agenda der gesetzlichen Regelungen (Ausbildungsordnungen etc.) fehlen, geschweige denn in die offiziellen Lehrpläne aufgenommen wurden.
Die berufliche Bildung besitzt als Qualifizierungsinstanz für alle wirtschaftlichen Bereiche eines Landes schon immer eine hohe Bedeutung. Die Relevanz der beruflichen Bildung ist dadurch gestiegen, dass der demografisch bedingte Fachkräftemangel, der sich in den vergangenen Jahren auch in der Ukraine bemerkbar gemacht und der sich durch die Auswirkungen des Krieges noch deutlich verstärkt, eine Ausschöpfung aller verfügbaren Arbeitskraftressourcen erforderlich macht.
Dabei rücken auch Personengruppen wie Veteranen, Menschen mit Behinderung und Menschen mit Migrationshintergrund, die in Zeiten eines aus Arbeitgebersicht entspannteren Arbeitsmarktes schwerer vermittelbar sind, stärker ins Blickfeld.
Allgemeine Entwicklungen
Diese Personengruppen stellen die berufliche Bildung vor die Herausforderung, spezifisch ausgerichtete Qualifizierungen zu konzipieren und auf die jeweiligen Zielgruppen zu zuschneiden. Eine weitere Entwicklung stellt die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung von Arbeitsprozessen dar, die alle wirtschaftlichen Bereiche umfasst und die den Fachkräftemangel möglicherweise zumindest partiell kompensieren kann, sofern die vorhandenen Beschäftigten über die erforderlichen Qualifikationen im Umgang mit diesen neuen technologischen Möglichkeiten verfügen.
Von diesen Entwicklungen ist der landwirtschaftliche Sektor in spezifischer Weise betroffen: Die Vielzahl an möglichen Unternehmensformen, Betriebsstrukturen und -größen, Produktions- und Wirtschaftsverfahren sowie Spezialisierungsformen stellen die Berufsbildung in der Landwirtschaft in der Ukraine vor weitere große Herausforderungen. Hinzu kommen vielfältige gesellschaftliche Erwartungen in Bezug auf Verbraucherschutz, Nachhaltigkeit, Tierwohl, Biodiversität und Integration beziehungsweise Inklusion, die ebenfalls die Berufsbildung im Sektor unter Druck setzen.
Aktueller Handlungsbedarf
Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist davon auszugehen, dass sich dieser Wandel auch in den kommenden Jahren weiter fortsetzen wird und dass damit auch der Handlungsbedarf für Anpassungen in der landwirtschaftlichen Berufsbildung zunimmt.
Schlüsselfaktoren in diesem Zusammenhang sind: Ein zunehmender Mangel an Fach-kräften, ein steigendes Anforderungsprofil an die Beschäftigten, höhere gesellschaftliche Anforderungen an die landwirtschaftliche Produktion sowie eine Verschärfung des Wett-bewerbs durch übergeordnete Marktbedingungen wie z. B. wirtschaftliche (Allgemeine Wirtschaftslage), politische (Handelspolitik), soziale (Demografische Entwicklungen) und technologische (neue Technologien) Faktoren. Diese Schlüsselfaktoren und die dargestellten möglichen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt verändern die Rahmen-bedingungen und spezifischen Anforderungen an die agrarische Berufsbildung. Nachhaltigkeit und Digitalisierung gelten derzeit als stärkste Treiber wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Transformationsprozesse.
Das Problem: Die beruflichen Bildungseinrichtungen sind bei der Lösung der Bildungs-probleme bisher gegenüber den landwirtschaftlichen Betrieben/Unternehmen maßlos im Hintertreffen.
FABU – Wegbreiter für Innovationen in der beruflichen Bildung der Ukraine
Das bilaterale Deutsch-Ukrainische Kooperationsprojekt „Förderung der Berufsausbildung in landwirtschaftlichen Colleges der Ukraine – FABU“ ist seit 2017 gemeinsam mit den ukrainischen Partnern (Wissenschaftlich Methodisches Zentrum für Aus- und Hochschulbildung (WMZ VFPO), den Pilotagrarcolleges in Glukhiv, Illintsi, Myrohoschtscha und Lypkovativka sowie den staatlichen Lehrzentren in Wolhynien, Odessa, Riwne und Charkiw) ein wichtiger Wegbereiter für methodische und inhaltliche Innovationen in der beruflichen Bildung, um den veränderten Anforderungen an die berufliche Qualifikation und den Nachfrageanforderungen des Arbeitsmarktes sowie neuen Zielgruppen (z. B. Beratung) gerecht zu werden.
FABU hat sich diesen Themen angenommen und beispielsweise im Rahmen der bisherigen Projektarbeit gezielt Methoden und Inhalte einer praxisnahen Ausbildung an den vier landwirtschaftlichen Pilotcolleges in der Ukraine eingeführt. Zu diesem Zweck sind in den vergangenen sieben Projektjahren die vorgegebenen Ausbildungsstandards und Curricula überarbeitet und an die Anforderungen der Berufspraxis und die internationalen Standards angepasst worden. Gleichzeitig wurden die Lehrkräfte fortgebildet und praxisorientierte Lehrmethoden eingeführt.
Mit diesen Maßnahmen wurde die „Berufsfähigkeit“ der Studierenden verbessert und den Ansprüchen der potenziellen Arbeitgeber und Hofnachfolger angepasst.
Mit der Aktualisierung von Standards, Lehrplänen und -inhalten sowie der Qualifizierung der Lehrkräfte und der Verbesserung der Ausstattung im Hinblick auf Lehrmaterialen, technische Ausstattung und Infrastruktur konnten in den genannten Bildungseinrichtungen wichtige ausbildungsbezogene Investitionen in die Zukunft vorgenommen worden. Diese Erfolgskette gilt es weiterhin zielgerichtet zu verfolgen. Die von den ukrainischen Projektpartnern anerkannte erfolgreiche Arbeit gilt es trotz der schwierigen Rahmenbedingungen und Krisen (Krieg) weiterzuführen. Dies erfordert von allen beteiligten Projektpartnern Resilienz.