Die Wirtschaft und die Landwirtschaft wandeln sich fortlaufend und mit ihr die Kompetenz-anforderungen an die Arbeitskräfte/Beschäftigten/Fach- und Führungskräfte.

Zwei unterschiedlichen langfristigen Trends kommt dabei derzeit eine erhöhte Aufmerksamkeit zu: der Nachhaltigkeit und der Digitalisierung. Aus dem Ruf nach einer stärkeren Ausrichtung des menschlichen Handels auf den Erhalt und die Sicherung  der natürlichen Lebensgrundlagen hat sich das thematisch breitere Konzept der Nachhaltigkeit entwickelt, das die ökologische, die ökonomische und die soziale Dimension des Handelns mit dem Blick auf seine langfristige Tragfähigkeit zusammen-führt (Stichwort: ESG-Standard). Entsprechende Forderungen werden aus der Gesellschaft heraus über die Medien sehr öffentlichkeitswirksam formuliert und auf wirtschaftlicher Seite einerseits und politischer/staatlicher Ebene andererseits aufgegriffen. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der ange-strebte New Green Deal der seit Dezember 2019 amtierenden Kommission der Europäischen Union bzw. im Bereich der Landwirtschaft der Strategieplan im Zusammenhang mit dem “Green Deal“ der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik der wichtige Beiträge zur Biodiversitäts- und zur Farm to Fork-Strategie vorsieht.

Aus der Vielfalt an technischen Fortentwicklungen hat sich die Digitalisierung als ein besonders wirkungsmächtiger Treiber herauskristallisiert, der mehr und mehr die Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens sowie  des Wirtschaftens beeinflusst. Dies gilt insbesondere auch für die Arbeits- und Produktionsabläufe/-prozesse in der Landwirtschaft. Hier verändert sich in besonderem Maße das berufliche Tätigkeitsprofil der Arbeitskräfte/Beschäftigten/Fach- und Führungskräfte und damit ihre qualifikatorischen Voraussetzungen.

Analysen und betriebliche Fallstudien im Berufsfeld der „Landwirtschaftlichen Berufe“ zeigen: Es gibt eine Reihe von Kompetenzen aus den Kompetenzbereichen für lebenslanges Lernen, die insbesondere Fach- und Führungskräfte bereits heute und in Zukunft noch mehr benötigen, um sowohl mit den Herausforderungen der Nachhaltigkeit als auch denen der Digitalisierung Schritt halten und hierbei eine aktive Rolle spielen zu können. Einerseits sind dies Schlüsselkompetenzen; andererseits finden die Kompetenzen in einzelnen Anwendungsbereichen berufsspezifische Entsprechungen. Deshalb  bedarf es einer berufsspezifischen Operationalisierung der Curricula und Lehrpläne  hinsichtlich der praktischen Kenntnisse in der Ausbildung wie auch im Hinblick auf die Neuordnung der Bildungs-inhalte und -abläufe.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, Kompetenzanforderungen für die Transformationsprozesse der Nachhaltigkeit und Digitalisierung auf der Ebene der landwirtschaftlichen Ausbildung und hier insbesondere der Fach- und Führungskräfteausbildung zu identifizieren. Dabei gilt es, Einblicke in die Art und das Ausmaß des Zusammenspiels der bisher unabhängig voneinander betrachteten Kompetenzanforderungen zu erkennen, um Gemeinsamkeiten für die beiden Transformations-prozesse zu identifizieren und besser aufeinander abzustimmen.

In diesem Zusammenhang gilt es unter anderem für die folgenden Fragestellungen Antworten zu finden:

  • Welche Zusammenhänge zwischen Nachhaltigkeit und Digitalisierung gibt es im Hinblick auf die „Landwirtschaftlichen  Berufe“ und  ob und wie sich Nachhaltigkeit und Digitalisierung bedingen?
  • Welche Kompetenzen liegen innerhalb der Schnittstellen von Nachhaltigkeit und Digitalisierung?
  • Welche der identifizierten berufsspezifischen Kompetenzen sind abstrahier- und transferierbar?
  • Wie werden diese Kompetenzen in der Aus- und Fortbildung, der schulischen Allgemeinbildung, der spezifischen Anpassungsfort- und -weiterbildung oder durch informelles Lernen im Prozess der Arbeit angeboten bzw. vermittelt?

Dazu sind konkret die folgenden Fragen zu beantworten:

  • Finden sich theoretisch identifizierte Schnittstellen von Nachhaltigkeit und Digitalisierung auch vor Ort in der täglichen Arbeit wieder?
  • Welcher Art sind die Kompetenzen in Bezug auf Nachhaltigkeit und auf Digitalisierung, die Arbeitskräfte/Beschäftigte/Fach- und Führungskräfte aufweisen sollten, um den täglichen Herausforderungen im Berufsfeld  gerecht zu werden?
  • Wie sehen diese Kompetenzen für die verschiedenen Bereiche der „Landwirtschaftlichen Berufe“ aus?
  • Welche Schnittmengen der identifizierten Kompetenzen gibt es? Werden diese als kongruent wahrgenommen? Wie werden/wurden sie erworben?
  • Welche Aus-, Fort- und Weiterbildung haben die Personen, die sich in der Landwirtschaft mit den Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung beschäftigen?
  • Wie wurden die Arbeitskräfte/Beschäftigten/Fach- und Führungskräfte an die Themenkomplexe Nachhaltigkeit und Digitalisierung sowie an die Schnittstellen herangeführt. Gibt es Maßnahmen der Anpassungsweiterbildung oder ist „Learning by doing“ angesagt?

Ein Überblick über ausgewählte Kompetenzen bezüglich der Nachhaltigkeit und der Digitalisierung ist in Anlehnung an das Konzept des Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen in Schaubild 1 als übergreifender Orientierungsrahmen für die Kompetenzanforderungen dargestellt.

Schaubild 1. Orientierungsrahmen der Kompetenzen für Nachhaltigkeit und Digitalisierung

Quelle: Deutscher Qualifikationsrahmen (DQR), Bundesministerium für Bildung und Forschung, Referat 300 – Grundsatzfragen, Digitalisierung und Transfer, 10117 Berlin

Mit Hilfe dieses Orientierungsrahmens lassen sich für die Ausbildung im Agrarbereich Kompetenzen identifizieren und hinterfragen, welche Rolle sie zukünftig in dem Transformationsprozess der Nachhastigkeit und der Digitalisierung mit Blick auf die Landwirtschaft spielen werden. Da die grundsätzlich benötigten Kompetenzen unabhängig von der Funktion ähnlich ausfallen können, wird nicht zwischen Kompetenzanforderungen für Fachkräfte und Kompetenzanforderungen für Führungskräfte unterschieden. Diesbezüglich ist die konkrete Anwendungssituation entscheidend, das heißt der jeweilige inhaltliche Kontext, der sich unterschiedlich darstellt.

Kompetenzanforderungen in den „Landwirtschaftlichen  Berufen“ im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Digitalisierung

Kompetenz zur Wissensvermittlung  – Fachkompetenz: Wissen

Für Aktivitäten zur Nachhaltigkeit und zur Digitalisierung wird Fach- und Erfahrungswissen benötigt. Dies zeigt sich etwas stärker für das nachhaltige Wirtschaften in der Landwirtschaft als für die Nutzung digitaler Technologien: Sowohl um Ideen zu entwickeln, die das wirtschaftliche Handeln nachhaltiger machen, als auch um mögliche Maßnahmen wie auch Folgen des aktuellen Handelns zu bewerten, bedarf es eines fundierten Fach- und Erfahrungswissens.  So müssen Fach- und Führungs-kräfte in der Landwirtschaft zum Beispiel über Wissen im Bereich Ökologie zu den Themen Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität sowie Klima & Wasser verfügen und  die regionalen Besonderheiten hinsichtlich der Wachstumsbedingungen kennen.

Auch bei der Digitalisierung ist es für Fach- und Führungskräfte notwendig zu wissen, welche Bedeutung Zahlenwerte haben oder wie eine verwendete Kennzahl zustande gekommen ist. Kenntnisse bzw. Verständnis der Funktionsweise eines Systems oder eines Gefüges von Abläufen werden mit der Kompetenzanforderung des Prozessverständnisses oder -wissens angesprochen und bringen das fachliche Wissen in einen Anwendungszusammenhang. So sollten die Auszubildenden / Studierenden zum Beispiel wissen, wie die Ergebnisse einer Bodenprobe zu interpretieren und wie die im Boden vorhandenen Nährstoffe durch Düngung im Sinne vitaler und resilienter Pflanzen ausgewogen und bedarfsgerecht ergänzt werden sollten.

Kompetenz zur Wissensvermittlung  – Fachkompetenz: Fertigkeiten

Fertigkeiten basieren auf dem jeweiligen Wissen. Eine hohe Bedeutung innerhalb der Fachkompetenzen für Nachhaltigkeit und Digitalisierung kommt der fachlichen Problemlösekompetenz zu. Fach- und Führungskräfte müssen akute und wiederholt auftretende Probleme sowie Fehlentwicklungen erkennen und Lösungsmöglichkeiten unter Hinzuziehung weiterer Hilfen oder Personen entwickeln können und daraufhin Maßnahmen ergreifen. So kann beispielsweise bei Milchkühen eine Euterentzündung (medizinisch: Mastitis) auftreten.  Die Fach- oder Führungskraft muss gleichermaßen Kenntnisse über Maßnahmen der Prävention wie der wirksamen Behandlung verfügen und z. B. gemeinsam mit einem Tierarzt geeignete Behandlungsstrategien entwickeln und umsetzen. Dabei müssen Zielkonflikte erkannt und Entscheidungen getroffen werden, auch wenn sich diese Zielkonflikte nicht lösen lassen.

Im Zusammenhang mit der Problemlösekompetenz, aber auch für den fachlichen Unterbau von Kreativität bedarf es der Kompetenz zur Beschaffung von Informationen und zum Umgang mit ihnen. Vorhandenes Wissen/vorhandene Kenntnisse ermöglichen die Suche und Bewertung von Informationen und damit die Erweiterung des Wissens.

Vor dem Hintergrund einer zunehmend globalisierten Welt und wachsenden Ansprüchen und Möglichkeiten hinsichtlich nachhaltiger und digitaler Entwicklungen erhöhen sich in diesem Zusammenhang die Anforderungen an die Sprachkompetenzen.

Digitale Kompetenzen im Sinne von Technikkompetenzen für die Nutzung z. B. von Hardware sowie Standard- und Spezialsoftware gehören zu den benötigten Fertigkeiten, sind jedoch erst dann ein Bestandteil der gemeinsamen Kompetenzen, wenn Digitalisierung zum Motor oder zum Diener der Nachhaltigkeit wird. Zudem gibt es den Anspruch, die Folgen des Einsatzes digitaler Systeme für die Nachhaltigkeit beurteilen zu können. So können digitale Technologien helfen, Prozesse in der Außen- und Innenwirtschaft zu optimieren, also auf dem Feld und den Weiden genauso wie im Stall. So kann die sensorische Steuerung von landwirtschaftlichen Maschinen dazu beitragen, den Wasser- und Nährstoffbedarf der Feldfrüchte zu ermitteln. In Verbindung mit Satelliten- und Wetterdaten können Pflanzen bedarfsgerecht bewässert oder gedüngt werden. Dadurch wird die Effizienz gesteigert, der Eintrag überschüssiger Nährstoffe in die Umwelt minimiert und die Kosten für Betriebsstoffe wie Diesel, Dünger, Pflanzenschutzmittel und Saatgut gesenkt. Die Sensor- und Messtechnik hilft auch im Stall z. B. durch Aktivitätsmessung im Hinblick auf eine bedarfsgerechte Fütterung, beim Melken, bei der Überwachung des Gesundheitszustands und bei der Identifizierung von einzelnen Tieren. Durch die Weiterentwicklung der Informationstechnologie (IT) und die Vernetzung von Geräten untereinander können Prozessabläufe besser aufeinander abgestimmt und damit die Nachhaltigkeit verbessert werden.

Personale Kompetenz – Sozialkompetenz

Personale Kompetenzen werden für die Transformationsprozesse der Nachhaltigkeit und der Digitalisierung ebenso benötigt wie Fachkompetenzen; sie stehen zu einander in wechselseitiger Abhängigkeit. Innerhalb der Sozialkompetenz ist die Kommunikationsfähigkeit von großer Bedeutung: Fach- und Führungskräfte müssen in der Lage sein, Sachverhalte verständlich und adressatengerecht mitzuteilen und Diskussionen zu führen, sich über Fach- und Unternehmens-grenzen hinweg und ebenso in heterogen zusammengesetzten Teams zu verständigen und dabei den Kontext und die persönliche Betroffenheit zu berücksichtigen.

Auch bei der Abbildung von Abläufen und Sachverhalten in digitalen Formaten bedarf es der fachübergreifenden Kommunikation zwischen Fachkräften und IT-Spezialistinnen und -Spezialisten. Da für Aktivitäten im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und Digitalisierung die Zusammenarbeit verstärkt in Teams erfolgt, wird es immer wichtiger, dass die Beteiligten über Teamfähigkeit und Kooperationsfähigkeit verfügen, also die Stärken und Schwächen der Teammitglieder erkennen und berücksichtigen, Hilfen anbieten und annehmen, Informationen teilen, gemeinsam Lösungen erarbeiten sowie Konflikte sachlich und lösungsorientiert behandeln können.

Personale Kompetenz – Selbständigkeit

Darüber hinaus werden zur Selbständigkeit zählende Kompetenzen benötigt. Um Zusammenhänge und Probleme sowie die Wirkung von Eingriffen und Veränderungen wie auch des Nichthandelns verstehen zu können, wird analytisches Denken/Systemdenken/vernetztes Denken benötigt. Sowohl das einzelne Problem bzw. der einzelne Vorgang als auch das Zusammenwirken in einem größeren Wirkungsgefüge müssen erkannt und verstanden werden können.

Je nach Tätigkeitsbereich kommt auch der Kreativität eine größere Rolle zu. Neue und zugleich praxistaugliche Lösungen bzw. Angebote beispielsweise in der Direktvermarktung oder im Agrotourismus  beruhen auf der Entwicklung neuer Vorstellungen und Ideen, deren Zusammenwirken mit anderen Bausteinen des Produkts „Einkaufen auf dem Bauernhof oder „Urlaub auf dem Bauernhof“ in einem zweiten Schritt zu analysieren ist – gerade auch mit Blick auf die Dimensionen der Nachhaltigkeit. Daher sollte die Ausbildung im Agrarbereich durch Kreativität die Gestaltung disruptiver Prozesse aufzeigen, indem sie neu und aus unterschiedlichen Perspektiven denken lässt. Kreativität kann dabei auch auf die Funktionalität digitalisierter Systeme zurückgreifen – beispielsweise durch die Nutzung von Internetfunktionen für die Darstellung und Bewerbung von Produkten. Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsaktivitäten bedeuten vielfältige Neuerungen für den Arbeitsalltag von Fach- und Führungskräften und setzen ein erhöhtes Maß an Lernbereitschaft und Lernfähigkeit insbesondere für den Umgang mit digitalisierten Maschinen und Geräten voraus.

Die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung verändern den Arbeitsalltag von Fach- und Führungskräften und verlangen mehr denn je Flexibilität von ihnen. Das nachhaltige Wirtschaften voranzutreiben und digitale Technologien zielführend einzusetzen, ist nur möglich, wenn die Bereitschaft zu eigenverantwortlichem Handeln vorliegt. Selbständigkeit, Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, Selbstreflexion und Selbstdisziplin sind in diesem Zusammenhang gefragt. Dabei gilt es, bei der Lösung von Problemen Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb bestehender Entscheidungsspielräume zu nutzen. Reflexions- und Kritikfähigkeit werden benötigt, um Routinen und Einzelfalllösungen mit und ohne Nutzung digitaler Systeme sowie die Art und Weise des Kommunizierens und der Zusammenarbeit zu überdenken und dabei möglichst viele Blickwinkel einzubeziehen und abzuwägen, also nicht nur das unmittelbare Ziel, sondern auch Begleitumstände und -folgen, und dabei auch die Wirkungen auf die Nachhaltigkeit kritisch zu betrachten. Die Grundlage ist das eigene Handeln in den Arbeitsfeldern und Arbeitsabläufen eines Betriebes. Auch mit Blick auf die Kompetenzen, die zur Selbständigkeit zählen, ist die Bedeutung der Problemlösefähigkeit zu unterstreichen. Sie steht grundsätzlich dafür, Probleme als lösbar anzusehen, und für die Bereitschaft, hierzu einen eigenen Beitrag zu leisten. Als Bestandteil  proaktiven Handelns bringt sie die Nachhaltigkeit voran und ermöglicht die effektive und effiziente Nutzung digitaler Technologien. In diesem Zusammenhang kommt zum Beispiel  der Bedarf an Kompetenz zur Wissensvermittlung und zur Weitergabe von Erfahrungen in der Ausbildung Studierender eine große Bedeutung zu. Dies kann einerseits eine Vermittlung in informellen Kontexten, andererseits aber auch eine Vermittlung in formalisierten Kontexten beinhalten.

Tabelle 1. Fachkompetenzen und deren Bedeutung im Transformationsprozess von Nachhaltigkeit und Digitalisierung

Quelle: Deutscher Qualifikationsrahmen (DQR) geändert,  Bundesministerium für Bildung und Forschung,  Referat 300 – Grundsatzfragen, Digitalisierung und Transfer, 10117 Berlin

Um nachhaltigkeitsrelevante Gesichtspunkte  in der Berufsbildung möglichst konkret zu fassen, sollten diese im Zusammenhang mit den Fertigkeiten, Kenntnissen und Fähigkeiten des jeweiligen  Ausbildungsberufes betrachtet werden.

Hierbei sind insbesondere das Wissen und die Fertigkeiten als Fachkompetenz domänenspezifisch. Im Sinne von Schlüsselkompetenzen sind Sozialkompetenz und Selbständigkeit eher domänenübergreifend. Gleichwohl bestehen in Abhängigkeit von der beruflichen Tätigkeit und dem damit verbundenen Anspruchsniveau unterschiedliche Ausprägungsgrade der personalen Kompetenz.

Aufbauend auf einem generellen Bewusstsein für mögliche Auswirkungen des eigenen Handelns setzt Nachhaltigkeit die Reflexion der Auswirkungen voraus. Im Kontext von Nachhaltigkeit ebenso wie von Digitalisierung ist Reflexionsfähigkeit dabei auf die individuelle Lernbereitschaft und damit verbunden auf unterschiedliche „Selbstkonzepte“ – wie Selbständigkeit, Selbstvertrauen, Selbst-bewusstsein, Selbstreflexion, Selbstdisziplin und Eigenverantwortung – angewiesen. Dies wiederum setzt die individuelle Fähigkeit zum lebenslangen Lernen in formalen, non-formalen und informellen Kontexten sowie dieses Lernen begünstigende institutionelle Rahmenbedingungen voraus.

Zur Identifikation nachhaltigkeitsrelevanter Aspekte und zum Treffen von Entscheidungen werden fachliches Wissen und fachliche Fertigkeiten sowie Kenntnis der landwirtschaftlichen Arbeiten und Produktionsabäufe/-prozesse  als überfachliche Kompetenzen benötigt. Berufsspezifisches fachliches Wissen und berufsspezifische fachliche Fertigkeiten stellen diesbezüglich eine zentrale Grundlage für die Identifikation nachhaltigkeitsrelevanter Aspekte und das Treffen von Entscheidungen dar. Sie tragen auch dazu bei, Arbeits- und Produktionsabläufe/-prozesse kognitiv und erfahrungsbasiert zu durchdringen. Damit machen sie Ansatzstellen für Optimierungen erkennbar und ebnen einer „prozessbewussten“ nachhaltigen beruflichen Handlungsfähigkeit den Weg. Vor diesem Hintergrund ist eine ganzheitliche Betrachtung erforderlich.

Auch das erfordert das Nutzen und effektive Einsetzen digitalisierter und vernetzter Technologien. Voraussetzung dafür ist eine grundlegende Transparenz über landwirtschaftliche/betriebliche Arbeits- und Produktionsabläufe/-prozesse. Wenngleich Digitalisierung nicht automatisch als nach-haltig zu betrachten ist, kann sie vor diesem Hintergrund als Ermöglicher und Motor für mehr Nachhaltigkeit dienen, indem eine Vielzahl von Prozessparametern erfasst sowie transparent und damit gestalt- und steuerbar gemacht werden.

Die am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen und bis 2030 zu erreichenden 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen weisen Vorgaben für jedes Ziel auf, welche wiederum durch insgesamt 230 Indikatoren operationalisiert wurden. Allein die genannten Zahlen machen  die Komplexität der Umsetzung der Vorgaben/Richtwerte zur Nachhaltigkeit deutlich. Die Gestaltung und Steuerung eines solchen Konzeptes erfordert den Umgang mit Daten, der durch digitalisierte Technologien effizient erfolgen und insofern eine nachhaltige Entwicklung positiv beeinflussen kann.

Damit ist festzuhalten, dass der sichere Umgang mit digitalisierten und vernetzten Technologien sowie der Umgang mit Daten nachhaltiges Handeln begünstigt.

Die Nutzung digitalisierter und vernetzter Maschinen und Anlagen setzt dabei Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten zu ihrem fach- und sachgerechten Einrichten, Bedienen und Steuern voraus. Ebenso setzt das Erheben, Pflegen und Prüfen von Daten und ihre Übermittlung, das Zusammenführen und Aggregieren dieser Daten zu Informationen sowie ihre Auswertung als Grundlage für die Generierung von Wissen um Nachhaltigkeit auf unterschiedlichen Ebenen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit der jeweiligen Hard- und Software voraus. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sollte eine Anpassung der Berufsbilder im „Landwirtschaftlichen Bereich“ dahingehend erfolgen, dass das Thema „Digitalisierung in der Arbeitswelt in der Land-wirtschaft “ und die damit verbundenen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten als verbindlich zu vermittelndem Inhalt in die Ausbildungsordnungen/Curricula aufgenommen werden sollten.

Von qualifizierten Fachkräften werden Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten im Kontext von Nachhaltigkeit insbesondere im Zusammenhang mit dem Einrichten, Bedienen und Steuern von digitalisierten und vernetzten Maschinen und Anlagen und damit vor allem Kompetenzen für den operativen Bereich benötigt. Fachkräfte bringen sich hier insbesondere mit Vorschlägen zu kontinuierlichen Verbesserungsprozessen ein. Im Unterschied dazu benötigen Führungskräfte auf der mittleren und höheren Ebene für Tätigkeiten im strategischen Bereich Kompetenzen zur Gestaltung von Veränderungsprozessen, zur Führung von Personal sowie zum Erkennen von Nutzen, aber auch der Grenzen digitalisierter und vernetzter Technologien. Sie treffen Entscheidungen über Veränderungen von Produkten und Prozessen. Mit dem quantitativen und qualitativen Anwachsen von Kompetenz-anforderungen wächst zugleich die Bedeutung von Kompetenzteams.

Vielfalt und Heterogenität von Anforderungen innerhalb eines Berufes lassen die Relevanz von Fachkompetenzen, Prozessverständnis und Systemdenken steigen. Erforderlich ist eine fortlaufende Erweiterung und Vertiefung benötigter Fertigkeiten, Kenntnissen und Fähigkeiten und damit eine Spezialisierung von Kompetenzen. Für die Entwicklung und Herstellung von Produkten und für das Angebot von Dienstleistungen sowie für die Umsetzung von Veränderungsprozessen kommt daher heterogen zusammengesetzten Kompetenzteams als „kompetenten Organismen“ wachsende Bedeutung zu. Kompetenzteams können dabei feste oder variable Teams innerhalb eines Unternehmens darstellen, ebenso kann es sich um ein unternehmensübergreifendes Zusammenwirken handeln. Mit der wachsenden Bedeutung von Kompetenzteams wächst daher auch die Bedeutung von Teamfähigkeit.

Neben einer grundlegenden Kooperationsbereitschaft kommt dabei vor allem der Kommunikation wesentliche Bedeutung zu. Kommunikative Fähigkeiten sind erforderlich, um Strukturen zu entwickeln, Erfahrungen auszutauschen, Potenziale durch Reflexionsprozesse auszuschöpfen und die Kreativität und Produktivität – etwa durch Rückmeldungen zum eigenen Verhalten und Handeln – eines Teams weiter zu verbessern. Dabei hat auch die Zusammensetzung von Teams Einfluss auf Nachhaltigkeit und Digitalisierung.

Die inner- und außerbetriebliche Kommunikation ist dabei eine zentrale Voraussetzung für die Entwicklung von Nachhaltigkeit. Die Bedeutung sozialer Kompetenzen ist dabei als „Kitt“ für Austauschprozesse, etwa bei der gemeinsamen Verständigung über Ziele und daraus abzuleitenden Maßnahmen für eine nachhaltige Entwicklung zu sehen.  Indem Kommunikation durch die Potenziale der Digitalisierung von einer technischen Funktion entlastet wird, kann der persönliche Kontakt und damit auch die Rückmeldungen zum eigenen Verhalten und Handeln intensiviert werden. Begünstigt wird Nachhaltigkeit in einem Betrieb/Unternehmen vor allem dann, wenn sie einen Mehrwert für das Unternehmen bietet. Dies kann sich einerseits darauf beziehen, dass sich mit den realisierten Maßnahmen unmittelbar eine Rendite erzielen lässt oder andererseits im Sinne der Mehrdimensionalität von Nachhaltigkeit zu einem besseren Image und damit zu einem mittelbaren Gewinn beiträgt.

Ausblick und Transfer

In den vorliegenden Ausführungen wurde gezeigt, welche Kompetenzen die Arbeitskräfte/Beschäftigten/Fach- und Führungskräfte für Nachhaltigkeit im Kontext von Digitalisierung zukünftig verstärkt benötigen werden. Deshalb sollten diese zukünftig in der Aus-, Fort- und Weiterbildung im Agrarbereich eine wichtige Rolle für die beiden großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse spielen.

Eine Zusammenstellung der berufsspezifischen Kompetenzen für die Nachhaltigkeit im Kontext mit der  Digitalisierung stellt damit für die zukünftige Ausgestaltung der Lehrpläne und –inhalte eine wertvolle Unterstützung darstellen.

Daher erscheint es sinnvoll sich zunächst einen Überblick über die bereits vorhandenen Konkretisierungen zu verschaffen. Für die Ausbildung künftiger Fach- und Führungskräfte ist es darüber hinaus wünschenswert, wenn die Berufsbildungspraxis auf eine Sammlung von methodisch-didaktischen Ansätzen zur Vermittlung der erarbeiteten Kompetenzen zurückgreifen könnte. Die Erfahrungen zeigen, dass es im Agrarbereich  bereits eine Vielzahl berufsspezifischer Beispiele hierfür gibt, die vielfach jedoch nicht ausreichend verbreitet sind. Zu diesem Zweck sollten bereits entwickelte Ansätze zusammengetragen, gesichtet und aufbereitet sowie digital zur Verfügung gestellt werden.

Hans Georg Hassenpflug

Projektleiter FABU