Bildung ist wichtig – nicht nur für die Wirtschaft und die Innovationskraft eines Landes, sondern auch für die individuelle Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und die Teilhabe an der Gesellschaft. Ein guter Schulabschluss steigert die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, schafft Spielräume bei der Gestaltung des eigenen Lebens und sorgt damit oft auch dafür, dass man im Alter finanziell gut aufgestellt/versorgt ist.

Schule, Arbeit, Rente? Berufsbiografien, wie diese, werden immer seltener. Statt-dessen bilden sich immer mehr Menschen in der Phase „Arbeit“ ständig weiter, schulen um und/oder lernen Neues. Die Aus-, Fort- und Weiterbildung ist in einer mittlerweile sehr dynamischen Arbeitswelt immer wichtiger – beruflicher Stillstand daher keine Option.

Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass in den letzten Jahren nicht nur das Bildungsniveau in der Ukraine besser geworden ist, sondern dass auch die Zahl der­jenigen gestiegen ist, die bereit sind, sich beruflich weiter zu qualifizieren.

Seit dem Austritt aus dem Staatenverbund der Sowjetunion am 24. August 1991 hat sich im Bildungswesen der Ukraine im Großen und Ganzen nur wenig geändert. Wenn man sich die aktuellen Lehrpläne anschaut, muss man feststellen, dass sich in der Ausbildungsphilosophie kaum etwas – viele sagen sogar „nichts“ – getan hat. Man hat im Unterricht immer noch die Stunden-Taktung und den Fächerkanon. Sogar die Inhalte der aktuellen Fachbücher sind teilweise noch die gleichen wie vor dreißig Jahren und auch die Unterrichtsform hat sich nur wenig geändert. Der Unterricht an den Colleges in der Ukraine ist einfach altmodisch, so dass das Gebot der Stunde heißt: Lehrpläne entrümpeln und zeitgemäße Formen der Wissensvermittlung einführen!

In der Unterrichtspraxis zeigt sich die fehlende Entwicklung darin, dass die Lehrkraft immer noch eine Frage stellt und sich die Studierenden dann ratenderweise langsam an die Lösung herantasten. Das ist zäh und langwierig und weder für Studierende noch für die Lehrkräfte erhellend. Im Unterricht selbst wird vor allem „totes“ Wissen vermittelt. Das Pauken von Fakten und Regeln steht nach wie vor im Mittelpunkt.

Internationale Beispiele, besonders z. B. Finnland, zeigen, wie man es besser machen kann. Hier wird gerade vom klassischen Unterricht auf „Phenomenon-Based Learning (PBL) oder Phänomen-Unterricht“ umgestellt. Dieses Unterrichtsmodell vermittelt weiterhin das Grundlagenwissen der klassischen Fächer, dazu aber verstärkt deren Zusammenhänge und Wechselwirkungen. In der Unterrichtspraxis bedeutet dies, dass der fächerübergreifende Unterricht deutlich erweitert und mehr auf eine projektorientierte Basis gestellt wird. Im Phänomen-Unterricht geht es also darum, durch Beobachten Zusammenhänge zu erkennen, anstatt nur Einzelaspekte zu betrachten – weg vom bruchstückhaften Wissen, hin zum Erlernen ganzheitlicher Vorgänge.

Diesen Ansatz verfolgt auch das Bilaterale Deutsch-Ukrainische Projekt „Förderung der Berufsausbildung an landwirtschaftlichen Colleges in der Ukraine (FABU)“,  indem es Wege aufzeigt, wie man von der reinen Wissensvermittlung hin zur Kompetenzvermittlung kommt und so gleichermaßen die Ausbildungsqualität und  -effizienz verbessert sowie den Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht wird. (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1_Bildung durch Kompetenzvermittlung

In einer ersten Projektphase (2017 bis 2021) wurden im Projekt FABU folgende Handlungs- und Aktionsfelder bearbeitet:

  • Überarbeitung der Bildungsstandards (Inhalte und Methoden)
  • Überarbeitung der Lehr- und Lernmethoden
  • Qualifizierung, Fort- und Weiterbildung von Fach- und Lehrkräften in den Colleges und auf ausgewählten landwirtschaftlichen Betrieben
  • Integration von Praktika bzw. Ausbildungszeiten auf den landwirtschaftlichen Betrieben in die Ausbildung
  • Verbesserung der technischen Ausstattung von WMC VFPO und den vier Pilotcolleges
  • Ausdehnung der Zusammenarbeit Betrieb/Unternehmen und College.

Auf der Grundlage dieser Arbeitsergebnisse soll in einer zweiten Projektphase (2021 bis 2024/2025) die Arbeit inhaltlich auf folgende Themenfelder fokussiert werden (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2_Inhaltliche Fokussierung der Projektarbeit im Zeitraum 2021 bis  2024-25

Bildung muss auf die Herausforderungen und Krisen unserer Zeit reagieren. So gilt es unter anderem, Antworten auf die Folgen des Klimawandels, den Verlust der Biodiversität und den Einsatz der Künstlichen Intelligenz (KI) zu finden. Damit die ukrainische Landwirtschaft zukunftsfähig wird/bleibt, braucht es unternehmerisches Denken und Offenheit für innovative Betriebsmodelle abseits des reinen Mengen- und Größenwachstums. Die Herausforderung liegt darin, die Versorgung mit Lebensmitteln zu gewährleisten und in ein Paket an Maßnahmen zum Schutz von Nutztieren, Biodiversität, Klima und Umwelt einzubetten. Agrarwirtschaft/Landwirtschaft muss man breiter denken.

Mit dem Slogan „Die Schule ist das Tor zur Welt“ lockt man keinen Jugendlichen mehr hinter dem Ofen hervor. Darüber können die Studierenden heute nur noch lachen. Das Tor zur Welt sind heute Massenmedien wie Google, Facebook oder YouTube und Datenbanken wie Wikipedia. Dort holen sich nicht nur die Studierenden, sondern inzwischen auch wir alle täglich unsere Informationen.

Mit diesem Wissen verändert sich auch das Aufgabenspektrum der Leitung der Schulen/Colleges und des Kollegiums mehr in Richtung Moderation und Beratung. Die Lehrkräfte werden zu Hinweisgebern, damit die Studierenden lernen, ihre eigene Meinung zu entwickeln, selbstständig Lösungen zu erarbeiten und diese zu verteidigen.

Partizipation ist in diesem Zusammenhang ein ganz wichtiger Gedanke – und das Lernen in Projekten. Es gilt, die Studierenden zu mehr Selbstständigkeit zu erziehen, um Lösungskompetenzen zu entwickeln. Diese brauchen sie für später – zum Beispiel für das Studium und den Beruf. Damit lernen sie gleichzeitig auch viel besser ihre eigenen Fähigkeiten und Schwächen kennen.

Um das zu erreichen, gilt es, den geschützten Raum der Schule zu verlassen und sich über den Phänomen-Unterricht hinaus der Idee der „Bildungslandschaften“ zuzuwenden.

Dem Konzept Bildungslandschaft liegt ein ganzheitliches Bildungsverständnis zu Grunde. Dieses geht davon aus, dass Kinder und Jugendliche nicht ausschließlich durch formale Lernprozesse in einer Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung Kompetenzen erwerben. Der Begriff Bildungslandschaft beschreibt somit ein Konzept, das darauf abzielt, Schulen und außerschulische Bildungseinrichtungen zu vernetzen und durch verstärkte Kooperationen Kindern und Jugendlichen bessere Bildungs-bedingungen und vielfältige Bildungsmöglichkeiten zu bieten. Diese Vernetzung wird auf verschiedenen räumlichen Ebenen verfolgt. Diese Art von Vernetzung ist gleich-zeitig eine Form des „Blended Learning“ im Sinn der Europäischen Kommission.

Theorie und Praxis bilden die beiden tragenden Säulen einer Ausbildung. Die Aus-bildungsziele „Handlungskompetenz“ und „Handlungsorientierung“ schreiben der praktischen Ausbildung einen hohen Stellenwert zu. Im Rahmen des FABU-Projektes wird daher dem „Technologischen Praktikum“ eine größere Bedeutung beigemessen. An Stelle von bisher zwei Wochen sind nunmehr vier Monate Praktikum auf einem landwirtschaftlichen Betrieb oder in einem landwirtschaftlichen Unternehmen mit dem Ziel zu absolvieren, dass der Studierende lernt, selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten und dabei in Zusammenhängen zu denken. (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3_Das „Technologische Praktikum“ kompetenz- und handlungsorientiert gestalten

In den letzten 50 Jahren hat sich die Arbeit in den landwirtschaftlichen Betrieben von der Handarbeitsstufe zu einer hochgradig technisierten und qualifizierten Tätigkeit entwickelt. Die moderne Landwirtschaft hat nur noch wenig mit Naturidylle, dafür umso mehr mit High-Tech, zu tun. Mehr den je sind situative Handlungsweisen und -reaktionen gefordert. So ist ein modernes Arbeitsfeld mit großen Herausforderungen, das auf einer langen Tradition aufbaut, entstanden, dessen Kennzeichen die möglichst umweltschonende Bewirtschaftung des Bodens und eine weitestgehend artgerechte Tierhaltung, verbunden mit dem Einsatz modernster Technik, sind (siehe Abbildung 4) Dabei werden im Zusammenspiel von Natur und Technik nachhaltig qualitativ hochwertige, gesunde Nahrungsmittel erzeugt.

Abbildung 4_Herausforderungen der Zukunft an eine Agrarwirtschaft im Wandel

Die Arbeit in der Landwirtschaft ist komplexer und anspruchsvoller geworden. Neue Berufsfelder sind entstanden und eröffnen jungen Menschen neue Karriereperspek­tiven. Der digitale Wandel bietet Studierenden und Betrieben/Unternehmen gleichermaßen neue Möglichkeiten. Gleichzeitig steigen aber auch die Anforderungen und Erwartungen an die zukünftigen Arbeitskräfte/Facharbeiter*innen. Wer hier punkten möchte, muss Willen zum Wollen, Fähigkeiten und Stärken vorweisen.

Umso so wichtiger ist es, sich schon frühzeitig mit den Inhalten, Perspektiven und Möglichkeiten einer Ausbildung an einem Agrarcollege auseinanderzusetzen. Sie haben schon erste Eindrücke durch ein Praktikum gesammelt und/oder sich über andere Informationsquellen für eine Ausbildung an einem Agrarcollege inspirieren lassen, aber dadurch gehen Ihnen nun viele Fragen durch den Kopf?  Kein Problem!

Bitte wenden Sie sich an:

– Staatliche Einrichtung “Wissenschaftlich-Methodisches Zentrum für die Hochschul­ und weiterführende Berufsbildung” ([email protected]);

– Ausgelagerte Struktureinheit “Agrotechnisches Fachcollege Glukhiv der Nationalen Agraruniversität Sumy” ([email protected]);

– Fachcollege Agrar Illintsi ([email protected]);

– Fachcollege Agrar Myrohoschtscha ([email protected]);

– Fachcollege Agrar Lypkovativka ([email protected]).

 

 

 

Hans Georg Hassenpflug

 

Fortsetzung folgt: demnächst.

Neue Wege in der Collegeausbildung – Nachhaltigkeit der Collegeausbildung

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