Haben Sie noch den Überblick im Auf und Ab der Produkt- und Betriebsmittelmärkte, zwischen Dürre und Starkregen und gedrückter bzw. hypender Stimmung? Bei nega­tivem Image in Medien und Öffentlichkeit und reihenweise Betrieben, die ihre Tore für immer schließen? Die europäische Landwirtschaft schrieb schon mal bessere Schlagzeilen.

Kann man vor diesem Hintergrund einem jungen Menschen guten Gewissens raten, einen Agrarabschluss an einem Agrarcollege oder einer Hochschule/Universität an­zustreben? Klare Antwort: Ja, gerade jetzt!

Tierhaltung und Ackerbau werden in den kommenden Jahrzehnten auch in der Ukraine anders aussehen als heute. Große Treiber für die Veränderungen sind die Digitalisierung, der Klimawandel sowie sich ändernde gesellschaftliche Ansprüche  und Essgewohnheiten. Die gesamte Agrarbranche befindet sich in einem Umbruch   – sorgen wir dafür, dass es ein Aufbruch wird. Dies gilt für die einzelne Hauswirt­schaft über die Fermer-Betriebe bis hin zu den großen Holdings genauso wie für den gesamten vor- und nachgelagerte Bereich der Landwirtschaft und die Handelsriesen im Lebensmittel-Einzelhandel. Gerade jetzt braucht es junge Frauen und Männer, die sich mit diesen neuen Herausforderungen auseinandersetzen, Lösungen für die Zu­kunft finden und Neues wagen.

Das Rüstzeug dazu müssen die Nachwuchskräfte an den Agrarcolleges und Hoch­schulen/Universitäten sammeln. Diese müssen das Wissen aus Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft bündeln und die Lehrinhalte so gestalten, dass genau die richtige Kombination bereitsteht, um die skizzierten Herausforderungen der Zukunft anzugehen. Denn in unserer komplexen Welt lassen sich viele Probleme nicht mehr nur aus einer Sicht betrachten und von einer Disziplin lösen. Das Denken ohne Scheuklappen wird immer wichtiger – auch, nein gerade für die Fachkräfte, die für die praktische Arbeit auf den Betrieben verantwortlich sind..

Ihnen müssen erfahrene Agrarexpert*innen beistehen, die den Stall auch von innen kennen und den Acker auch öfter vom Schleppersitz aussehen. Nur wenn sie akademisches Wissen mit praktischen Erfahrungen vereinen, können sie den landwirtschaftlichen Unternehmerinnen und Unternehmern gangbare Lösungen zeigen und eine Verbindung zwischen Hof und Hörsaal herstellen.

Geschieht das nicht, überlassen sie diesen Wandel fachfremden „Expertinnen und Experten“, die den Alltag auf einem Betrieb nicht kennen und sich kaum in eine Betriebsleitungs­situation hineindenken können.

Auch außerhalb des Agrarsektors werden Generalisten mit Anpackerqualität gerne als Arbeitskräfte genommen. Man findet sie zum Beispiel im Bereich der Beratung, des Produkt­managements, des Vertriebs von Landtechnik, dem Agrarhandel, der Tierernährung oder der Saatzucht, bei Banken, Steuerberatungsbüros, Versicherungen und in Unter­nehmensberatungen. Neue Perspektiven und Tätigkeitsfelder eröffnen sich durch die Energiewende, den Klimawandel und die Thematik der Nachhaltigkeit, wo diese Profis mit Stallgeruch ein gewichtiges Wort mitreden werden.

Denn für die Beantwortung von Fragen wie z. B. „Wie lassen sich in der Produktion Ressourcen einsparen? Wie kann die Landwirtschaft die Klimaziele erreichen? Welche Sorten braucht es, um sich an die Klimaveränderung anzupassen?“ sind Fachleute/-kräfte gefragt, die sich in der praktischen Landwirtschaft auskennen und gangbare Lösungen finden.

Darüber hinaus braucht es auch im Agribusiness neue Expertise, die in neu ge­schaffenen Stellen münden kann. Große Treiber sind dabei schon länger die Digitali­sierung, die alle Bereiche des Agribusiness durchdringt. Schlagworte sind zum Bei­spiel: E-Commerce im Agrarhandel, das Precision Farming und die künstliche Intelligenz in der Landtechnik.

Der sprichwörtlich notwendige „Stallgeruch“ beinhaltet Attribute wie physische und vor allem psychische Belastbarkeit, die Mentalität anzupacken und Verantwortung zu übernehmen.

Um die Besonderheiten der Branche -fachlich wie persönlich – kennenzulernen, sind Praktika immer ein Gewinn. Dabei sind auch Einblicke in vor- und nachgelagerte Be­reiche wichtig, weil es hilft, die gesamte Wertschöpfungskette kennenzulernen, auch wenn sie in Lehrplänen oft nicht vorgesehen sind und die Ausbildung bzw. das Studium verlängern. Oft lernt man erst in der Praxis projektbezogenes Arbeiten und die Fähig­keit, Probleme zu lösen.

Der Ackerbau und die Tierhaltung werden in der Ukraine in den nächsten Jahr-zehnten anders aussehen. „Die Unternehmen suchen deshalb in der Phase des Wandels keine Verwalter, sondern Köpfe, die den Gestaltungsspielraum nutzen.“

Der Druck auf die Landwirtschaft erzeugt auch Reibung im vor- und nachgelagerten Bereich. Das sorgt für Innovationen. Aber: “Landwirtschaftliche Fachkräfte müssen nicht am offenen Herzen operieren können, sollten aber immer am Puls der Zeit sein.“

Fazit: Wer einen Agrarabschluss in der Tasche hat, dem bieten sich gute Perspek-tiven auf dem Arbeitsmarkt.

Schulbank oder Campus?

Diese Frage stellt sich für viele nach der landwirtschaftlichen Ausbildung. Die Antwort darauf wird ganz wesentlich davon mitbestimmt, wie auch die unterschiedlichen Aus­bildungsgänge auf die neuen Herausforderungen vorbereitet sind.

Hochschulen/Universitäten

Agrarwirtschaft oder Agrarwissenschaft – kein anderes Studium zeichnet sich durch mehr „Bodenhaftung“ und Vielseitigkeit aus. Wer sich aktiv und unvoreingenommen für Fakten und Zusammenhänge interessiert und bereit ist, auf wissenschaftlicher Grundlage Dinge zu verstehen, für den ist das Studium genau richtig. Mit Themen wie Nachhaltigkeit, Klimaresilienz und Biodiversität ist das Studium am Puls der Zeit. Mit einem in der Regel ganzheitlichen Konzept können auf wissenschaftlicher Basis Grundlagen und Wissen in Pflanzenbau, Tierhaltung, Technik und Ökonomie am besten vermittelt werden. Hinzu kommen Informatik und das Know-how in Smart Farming. Damit wird alles abgedeckt, was man zum Führen oder zum Aufbau eines landwirtschaftlichen Unternehmens braucht. Auch für Mitarbeitende in Unternehmen und Organisationen im vor- und nachgelagerten Bereich ist dieses Wissen uner-lässlich.

An Hochschulen/Universitäten ist das Master- und Promotions-Studienangebot auf eine wissenschaftliche Karriere und höhere Führungsaufgaben ausgerichtet und er­fordert eine größere Selbstständigkeit als das Bachelorstudium. Letzteres hingegen  ist stärker praxisorientiert und auf eine engere Betreuung der Studierenden ausge-legt.

Die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen der Praxis/Wirtschaft sind allen Beteiligten hinlänglich bekannt. Die Hochschulen/Universitäten der Ukraine tun sich aber bislang oft schwer damit, die skizzierten Anforderungen zu erfüllen. Dies liegt zum einen daran, dass ihr administrativer Apparat nicht flexibel genug und teils auch nicht zukunftsorientiert ausgerichtet ist, um die Curricula, Lehrpläne und Lehrin­halte des Studiums an die skizzierten Rahmenbedingungen anzupassen. Manchmal sind auch Teile des Lehrkörpers überaltert und/oder nur eingeschränkt fachlich den neuen Herausforderungen gewachsen.

Agrarcollege

Wer später einen landwirtschaftlichen Betrieb managen bzw. führen oder im Agribusiness Fuß fassen möchte, für den bietet normalerweise der Abschluss an einem Agrarcollege genau die richtige Vorbereitung auf die Zukunft. Hier wird ein fundiertes Fachwissen, das sich direkt auf betriebliche Management- und Ent-scheidungsprozesse anwenden lässt, vermittelt. Dazu gehört die intensive Be­schäftigung mit den produktionstechnischen Verfahren der landwirtschaftlichen Be­triebe und eingeschränkt auch die kritische Beleuchtung von deren wirtschaftlicher Situation. Die Fragestellung, wie sich der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens prüfen und verbessern lässt, ist in den Ausbildungsplänen bisher von untergeordne­ter Bedeutung, ebenso der Umgang mit Mitarbeitenden und das Ausbilden junger Menschen.

Weil Landwirtschaft nicht auf einer einsamen Insel betrieben wird, sollten sich die Studierenden der Agrarcolleges auch intensiv mit den politischen und vor allem den gesellschaftlichen Anforderungen an den Ackerbau und die Tierhaltung befassen. Dazu gehören kritische Fragen zu Ernährung, Tierwohl, Umweltschutz, Bio­diversität und Klimawandel. Nur so erhalten die angehenden  Facharbeitskräfte das komplette Rüstzeug für eine berufliche Zukunft in der Landwirtschaft.

Die Agrarcolleges haben die aktuellen Entwicklungen erkannt und versuchen, den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes durch eine Anpassung der Ausbildungsinhalte und gezielte Qualifizierung der Lehrkräfte gerecht zu werden. Mit Hilfe des FABU-Pro­jektes wurden in den vergangenen vier Jahren wichtige Weichenstellungen für eine zeitgemäße, moderne Ausbildung geschaffen.

Ausbildung, Studium oder beides?

Du weißt nicht, ob eine Collegeausbildung, ein Studium oder ein duales Studium das Richtige für dich ist? Die Checklisten im Anhang helfen Dir dabei, anhand von ausgewählten Fakten herauszufinden, welcher Weg der passende sein könnte.

Hans Georg Hassenpflug
Projektleiter FABU