Neue Rahmenbedingungen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung am Staatlichen Lehrzentrum für die berufliche Ausbildung in Odessa

Die globale Agrar- und Ernährungswirtschaft trägt unbestritten auch zum Klima-wandel und zum Verlust der Biodiversität bei. Gleichzeitig gehört sie zu den Branchen, die am stärksten von diesen ökologischen Krisen betroffen ist. So müssen landwirtschaftliche Betriebe einerseits mit der zunehmenden Intensität und Häufigkeit extremer Wetterereignisse – sowohl Trockenheit als auch Starkregenfälle – lernen um zu gehen, andererseits treffen die Betriebe die gestiegenen Kosten für den Erwerb bzw. die Pacht von Land, Maschinen und landwirtschaftlichen Betriebsmitteln. Als wäre das noch nicht genug, stellen neue rechtliche Rahmen-bdingungen der Politik bzw. staatlichen Behörden (Neue gesetzliche Regelungen und immer strengere Grenzwerte z. B.  beim  Einsatz agrochemischer Betriebsmittel) und Änderungen in den Vorgaben zur Landnutzung die Landwirtschaft vor zusätzliche Herausforderungen, während die Verbraucher*innen gesündere und billigere Lebensmittel verlangen.

Das Alles erfordert von der Landwirtschaft in Verbindung mit der fortschreitenden Digitalisierung einen bisher nicht gekannten Transformationsprozess.  Es gilt neue Produktionstechniken und –verfahren, die mit den Grundsätzen einer nachhaltigen Landwirtschaft im Einklang stehen, zu entwickeln und umzusetzen.

Aus der Sicht der FAO bestehen die grundlegenden Elemente der Nachhaltigkeit darin, der Menschheit eine menschenwürdige Existenz zu garantieren und das Wirtschaftswachstum durch sparsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen bei gleichzeitiger Minimierung der Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima zu sichern sowie die Lebensmittel- und Ernährungssicherheit und die Tiergesundheit und den Tierschutz zu gewährleisten.

Die bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Philosophie einer nachhaltigen Landwirtschaft zeigen, dass

  • es dabei um eine Entwicklung und nicht um die Beschreibung eines Endzustandes geht (= kontinuierliche Verbesserung);
  • dabei Zielkonflikte unvermeidlich sind, das bedingt eine unvoreingenommene Analyse und das Finden der richtigen „Balance“;
  • es dafür keine Blaupause gibt (Nachhaltige Landwirtschaft erfordert den Entwurf/die Konzeption eines neuen Systemansatzes);
  • nachhaltige Landwirtschaft kein „Wolf im Schafspelz“ ist (Nachhaltigkeit und zementierte Leitbilder/Dogmen passen nicht zusammen).

Schlussfolgerung: Eine nachhaltige Entwicklung in der Landwirtschaft ohne Ziel-konflikte ist nicht vorstellbar. Die Konfliktvermeidung/-reduzierung setzt eine unvoreigenommene, fachlich fundierte und transparente Analyse sowie eine offene aber zielorientierte Auseinandersetzung mit deren Ergebissen  voraus und muss in die Ausbildung von Fachleuten einfliessen.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass es derzeit keine allgemeingültige von allen gesellschaftlichen Gruppen akzeptierte Lösung dafür gibt, wie die erforderlichen, grundlegenden Veränderungen von statten gehen geschweige denn umgesetzt werden sollen und welche Instrumente die Landwirtschaft zur Erreichung dieser Ziele nachhaltig einsetzen sollte.

Klar ist jedoch, dass der Prozess einen kreativen Ansatz für die Umsetzung der strategischen und operativen Entscheidungen erfordert.

Dazu ist nicht nur aktuelles Fachwissen erforderlich, das auf den Erkenntnissen und den Erfahrungen vergangener Generationen beruht, vielmehr gilt es auch die neuesten Errungenschaften von Wissenschaft und Praxis so zu validieren, dass deren praktischer Nutzen möglichst schnell um- und eingesetzt werden kann.

Was bedeutet das für die Aus-, Fort- und Weiterbildung?

Die für eine nachhaltige Landwirtschaft erforderliche berufliche Flexibilität kann nicht allein auf der Grundlage der in der beruflichen Erstausbildung (Collegeausbildung, Bachelor- oder Masterstudium) erworbenen Kenntnisse basieren. Vielmehr gehören regelmäßige Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zum festen Bestandteil der beruflichen Qualifizierung einer Fachkraft und sind damit ein wichtiges Kriterium einer nachhaltigen beruflichen Eignung. Praktisch bedeutet dies, dass ein hoch qualifizierter Mitarbeiter/eine hoch qualifizierte Mitarbeiterin auch ein gewissenhafter Lernender/eine gewissenhafte Lernende sein muss. Dies gilt nicht nur für Berufs-tätige in der Wirtschaft, sondern auch für Lehrkräfte und Dozenten*innen auf allen Ebenen der Ausbildung.

Bildungsdienstleister haben in diesem Kontext eine besondere Bedeutung. Sie können z. B. Absolventen*innen der Collegeausbildung, Absolventen*innen der traditionellen Bachelor- und Masterstudiengänge, die erworbene berufliche Grund-ausbildung durch zielgerichtete und qualitativ hochwertige Ausbildungsangebote (z. B. Kurse zu spezifischen Produktionsthemen) ergänzen und auf einen aktuellen Wissenstand bringen.

Auf dem Markt für derartige Bildungsdienstleistungen gibt es zahlreiche Anbieter wie z. B. Universitäten, NGOs und Verbände mit einem umfangreichen sehr dezidierten fachlichen Angebot. Die im Rahmen des FABU-Projekts 2023 durchgeführten Studien zu den Themen „Zur Situation der Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte an den Agrarcolleges der Ukraine“ und „Zur Situation der Erwachsenenbildung in der Ukraine“ haben gezeigt, dass z. B. die Lehrkräfte an den Agrarcolleges aktiv nach Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung suchen und weitgehend Kenntnis über die verfügbaren Möglichkeiten haben.

Im Rahmen der zweiten Phase des FABU-Projekts wurden 4 Staatliche Lehrzentren in Wolhynien, Odessa, Riwne und Charkiw, die dem Ministerium für Agrarpolitik unterstellt sind, ausgewählt, um an ausgewählten Beispielen deren Lehr- und Lernangebot in der Aus-, Fort- und Weiterbildung an die Marktbedürfnisse anzupassen. Eines dieser Zentren ist das Staatliche Lehrzentrum für berufliche Aus-bildung der Fachleute der Verarbeitungsindustrie in Odessa.

Das Zentrum nimmt vielfältige Aufgaben in der Aus-, Fort- und Weiterbildung wahr. Traditionell bildet es z. B. in den Berufen:

  • “Elektriker für die Reparatur und Wartung elektrischer Anlagen”, “Kältemaschinenführer”,
  • “Einsteller von Kontroll- und Messgeräten und Automatisierung”,
  • “Anlagenführer in der Lebensmittelproduktion (Milchproduktion)”,
  • “Anlagenführer in der Lebensmittelproduktion (Getränkeherstellung)”,
  • “Traktorfahrer in der landwirtschaftlichen Produktion” in den Kategorien A1; A2; B1; B2; B3; D1; C; E1-E2.

aus.

(Quelle: Ergebnisse der FABU-Studie “Beschreibung der aktuellen Situation an ausgewählten staatlichen Lehrzentren für die berufliche Ausbildung in der Ukraine”, 2022).

Um ein hohes Niveau der vielfältigen Bildungsmaßnahmen zu sicherzustellen und die Mobilität der Mitarbeiter*innen des Lehrzentrums zu erhöhen, wurde das Lehrzentrum im Rahmen des FABU-Projekts mit einer Reihe von technischen Lehr- und Lernmitteln ausgestattet. Diese wurden bei der Planung, Organisation und Durchführung von einer Vielzahl an Kursen in den vergangenen Monaten aktiv ein-gesetzt.

Ende 2022 wurde aufgrund der Besetzung eines Teils der Region Cherson durch die Russische Föderation das Aufgabenspektrum des Staatlichen Lehrzentrums in Odessa, durch die Zusammenlegung mit dem Staatlichen Lehrzentrum „Zentrum für die Fortbildung von Schafproduktionsspezialisten“ um die Weiterbildung von Fachleuten in der Produktion von Schafprodukten erweitert. Vor diesem Hintergrund beschloss die FABU-Projektleitung in Absprache mit den Projektdurchführern und mit Zustimmung des BMEL Anfang 2023 die dem Lehrzentrum in Dnipropetrowsk bereitgestellte technische Ausrüstung und weitere Sachmittel an das Lehrzentrum in Odessa zu verlegen.

Dank der neuen technischen Möglichkeiten konnte das Lehrzentrum in Odessa sein Angebot an Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen erweitern und die Effizienz der Ausbildungsmaßnahmen erheblich steigern. So wurden im Jahr 2023 insgesamt 216 Personen im Auftrag der Arbeitgeber fort- bzw. weitergebildet und 729 Personen in aktuellen Fachthemen geschult. Weitere 300 Personen nahmen an Kurzzeitkursen (1 bis 30 Tage) zu Rechtsverordnung zum Arbeitsschutz (NPAOP) teil und 897 Personen wurden selbst initiativ und verbesserten die eigene berufliche Qualifikation. Darüber hinaus wurden zahlreiche Online-Seminare mit Fachleuten aus den Bereichen landwirtschaftliche Produktion, Bildung und Gesundheitswesen durchgeführt. Dies hilft den betroffenen Personen und ihren Betrieben.

Die überlassene IT-Technik (Computer, Drucker etc.) wurde in den Klassenzimmern der Lehr- und Ausbildungskräfte installiert und an das Internet angeschlossen. Die Multimediaprojektoren und Laptops werden sowohl in den Büros/Klassenzimmern für den Präsenz- und Fernunterricht als auch bei Schulungen vor Ort in der Region (Städten, Dörfern) eingesetzt. Dank der bereitgestellten Computertechnik und weiterer Ausrüstung war bzw. ist es auch aktuell trotz Krieg möglich eine Vielzahl guter, fachlich interessanter Lehr-/Lernangebote zu planen, organisieren und durchzuführen.

Dies möchte ich zum Anlass nehmen mich ganz herzlich für das tatkräftige fachliche Engagement und die bereitgestellte finanzielle/materielle Unterstützung in den vergangenen Monaten bei den deutschen Projektpartner, insbesondere dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und dem Team des FABU-Projektes zu bedanken. Ich freue mich auf unsere weitere Zusammenarbeit im Projekt.

 

Nataliya Tzurkan
Leiterin Staatliche Lehrzentrum für berufliche Ausbildung der Fachleute der Verarbeitungsindustrie in Odessa