Konsequenzen und Herausforderungen für die Collegeausbildung am Beispiel der Spezialisierung Landtechnik

Die Ursprünge der modernen Landwirtschaft reichen knapp 150 Jahre zurück. Zur damaligen Zeit wurden bereits erste Maschinen entwickelt, die Hilfe bei der anstrengenden Feldarbeit versprachen. Den Beginn machten Dampfmaschinen, die einige Jahrzehnte später von den ersten Ackerschleppern abgelöst wurden. Seither hat sich der Ackerschlepper als feste Größe und wichtigste Leitmaschine in der Landwirtschaft etabliert.

Doch die Zeit ist nicht stehen geblieben. Die Ackerschlepper sind in den letzten Jahrzehnten immer größer und leistungsstärker geworden und durch die technische Entwicklung  sind immer mehr neue verfahrenstechnische Bereiche erschlossen worden, so dass es heute nur noch ganz wenige technisch nicht erschlossene Bereiche gibt.

Der Blick in die Zukunft zeigt: Die Landwirtschaft hält immer noch am Effizienzstreben fest, so dass die Hersteller von Landmaschinen und -technik immer noch größerer und leistungsstärkerere Ackerschlepper und Maschinen entwickeln.

Die Landwirtschaft präsentiert sich somit heutzutage eine High-Tech-Branche. Landwirte verrichten immer weniger Handarbeit. Sie nutzen statt Ackerschlepper und Transporttechnik, motorbetriebene Geräte und Maschinen im Pflanzenbau, in der Futterernte, der Futterkonservierung und der Landschaftspflege sowie in der Tierhaltung. Damit diese Technik reibungslos funktioniert, gibt es an den  Agrarcolleges unter anderem die Ausbildung in der Spezialisierung  „Landtechnik“. Die Absolventen*innen dieser Ausbildung haben es vom Ackerschlepper über riesige Mähdrescher mit Schneidwerken  von mehr als 14 Metern  bis hin zu Melkrobotern  mit ganz verschiedenen Fahrzeugtypen, Maschinen und Geräten zu tun.

Und auch in Sachen Technik gibt es große Unterschiede: Mal geht es darum, an einem alten Oldtimer-Ackerschlepper herumzuschrauben,  indem überhaupt keine Elektronik verbaut wurde. Ein anderes Mal ist eine neue High-Tech-Maschine  wie eine GPS-gesteuerte Pflanzenschutz-spritze wieder flott zu machen. Fachkräfte/Spezialisten für Landtechnik warten und reparieren Fahrzeuge, Maschinen und technische Anlagen in landwirtschaftlichen Betrieben. Sie prüfen die Bauteile, diagnostizieren Fehlerursachen und beheben diese. Teilweise müssen Reparaturen direkt am Einsatzort der Maschinen, zum Beispiel auf dem Feld oder im Stall und/oder unter hohem Zeitdruck ausgeführt werden.

Da moderne Landmaschinen und -technik häufig komplizierte technologische Systeme sind, müssen die Spezialisten ein hohes Maß an systemischem Denken sowie ein großes tech-nisches Verständnis und Interesse mitbringen. Die Komplexität der Aufgaben beinhaltet zudem auch das Planen von Arbeitsabläufen, das Kontrollieren der Arbeitsergebnisse und das Beraten und Betreuen der Kunden. So ist beispielweise der Kauf einer Maschine  oder eines Gerätes in der Regel auch mit einer Ein-/Unterweisung des zukünftigen Bedieners durch einen Techniker bzw. Fachmann verbunden.

Die Vielfalt der Aufgabenfelder zeigt das große Spektrum an Ausbildungsinhalten in der beruflichen Ausbildung. Deshalb dauert die Ausbildung in der Spezialisierung Landtechnik an den Colleges insgesamt von 3 bis 4 Jahren und findet überwiegend im Agrarcollege statt. Die Berufsbezeichnung heißt „Techniker-Mechaniker in der landwirtschaftlichen Produktion“.

Der praktische Teil der Ausbildung wird bisher überwiegend in den Lehrwerkstätten der Agrarcolleges absolviert. Nur ein geringer Teil wird in der beruflichen Praxis durchgeführt, wobei die inhaltlichen Schwerpunkte dieser praktischen Ausbildung durch die betrieblichen Möglichkeiten vorgegeben bzw. eingeschränkt sind. So gibt es beispielsweise Betriebe, die sich auf klassische Landmaschinen (Ackerschlepper, Mähdrescher etc.), auf Melktechnik oder auf  Fragen der Prozesssteuerung  spezialisiert haben.  Arbeitsplätze bieten landwirtschaftliche Unternehmen, Landmaschinenhersteller und –händler, sowie Fachwerkstätten.

Apropos Praktikum: Die Corona-Pandemie stellt auch die landwirtschaftlichen Unternehmen vor große Herausforderungen. So müssen zum Beispiel die Vorgaben des Infektionsschutzes im Arbeitsalltag unbedingt beachtet werden. Wenn es die Arbeitsabläufe erlauben, sollte das Praktikumsangebot trotzdem unbedingt aufrechterhalten werden – denn ein Betriebspraktikum bietet für die Collegestudenten*innen eine hervorragende Gelegenheit, um den zukünftigen Beruf/Job aus erster Hand kennenzulernen. Oft ist dies der erste Kontakt mit der Arbeitswelt.

Seit einigen Jahren zeichnen sich eine Reihe von Entwicklungen ab, die die Landwirtschaft vor neue Herausforderungen stellt:

  • Zum Ersten findet mit der Digitalisierung unter dem Stichwort „Landwirtschaft 4.0“ eine neue Dimension der landtechnischen Entwicklung statt mit vielfältigen Lösungsangeboten wie zum Beispiel Smart- oder Precision-Farming-Technologien.
  • Zum Zweiten besteht eine große Herausforderung in der Bewältigung des demographischen Wandels. Dies betrifft die Landwirtschaft selbst aber auch die   Beide Bereiche weisen ein hohes Durchschnittsalter der Beschäftigten auf. Es zeichnet sich daher bereits jetzt ein großer Fachkräftemangel ab, der eine nachhaltige Aufstellung/Wettbewerbsfähigkeit dieser Wirtschaftszweige schwierig gestaltet.
  • Und zum Dritten rücken die globalen gesellschaftlichen Problemlagen – Klimawandel und Ressourcenknappheit (Energie, Land, Wasser) – als Treiber einer effizienten Energie- und Ressourcenverwendung auch in der Landwirtschaft und Landtechnik-industrie  tendenziell stärker in den Vordergrund. Dies betrifft betriebliche Effizienzsteigerungen ebenso wie die Effizienzsteigerungen der Landtechnikprodukte

Vor diesem Hintergrund ist zukünftig ein wesentlicher Erfolgsfaktor der Landwirtschaft und der Landtechnikbranche der „Mensch“.  Das hohe Qualifikationsniveau und die Fachkompetenz der Beschäftigten sowie ihre Motivation, Flexibilität und Kreativität sind entscheidende Erfolgs-, Innovations- und Wachstumstreiber. Um die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft und der Landtechnikbranche unter dem Druck der Veränderungen weiterhin zu gewährleisten, liegen zentrale Handlungsbedarfe in der Personalentwicklung, der Fachkräfteausbildung, -gewinnung und -sicherung sowie in der Gewährleistung guter Arbeitsbedingungen.

Um diesen Anforderungen und dem Ansatz einer praxisnäheren, inhaltlich aktuellen Ausbildung an den landwirtschaftlichen Colleges in der Ukraine gerecht zu werden, die methodisch und inhaltlich besser an die die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes angepasst ist, wurde das bilaterale Kooperationsprojekt „Förderung der Berufsausbildung an den landwirtschaftlichen Colleges in der Ukraine (FABU) – UKR 17-01“ eingerichtet.

Das Ziel des Projektes ist es den beruflichen Nachwuchs in der Spezialisierung Landtechnik für den aktuellen und zukünftigen Arbeitsmarkt fit zu machen. Wie bereits dargestellt sind die Herausforderungen vielfältig, was die fachliche Qualifikation und die gesellschaftlichen Erwartungen angeht. Auch sind neue Kompetenzen gefordert. Hierfür gilt es die richtigen Weichenstellungen für die zukünftige Ausbildung an den Colleges zu treffen. Es gilt eine hohe Ausbildungsqualität  sicherzustellen, wobei die Fachlichkeit über die Curricula, die Lehrpläne und Lehrinahlte sowie die die Prüfungsanforderungen etc. zu regeln ist.

Im Hinblick auf die persönlichen Kompetenzen, Haltungen und Werte, die – flankierend zu den fachlichen Kompetenzen – für eine erfolgreiche Berufsausbildung in der Landwirtschaft wichtig sind, sind die Vorgaben bisher weniger konkret. Hier gilt es Leitplanken zu formulieren.

Dieses soll durch Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen und die Beratung von Dozenten*innen zum Beispiel in der Spezialisierung „Landtechnik“ zu verbesserten Fertigkeiten und einem stärker praxisorientierten Wissen der Collegeabsolventen*innen führen.

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Ziele wurden diverse Projektmaßnahmen eingeleitet und umgesetzt. Konkret handelt es sich um folgende Neuerungen:

  • Die Überarbeitung und Anpassung der Curricula, Lehrpläne und Lehrinhalte an den aktuellen internationalen Standard;
  • Die Entwicklung und Umsetzung praxisorientierter Lehrveranstaltungen bzw. Lehrmodule und die Konzeption neuer Lehreinheiten bzw. Lehrmodule durch eine abgestimmte Zusammenarbeit Betrieb/Unternehmen und College;
  • Die Stärkung der fachlichen Kompetenzen von Fach- und Lehrkräften an den Colleges bzw. in den Betrieben durch gezielte Aus-, Fort und Weiterbildungsmaßnahmen;
  • Die Überarbeitung und Anpassung der praktischen Ausbildung unter anderem durch die bessere Integration und Ausdehnung der Ausbildungszeiten in Form von Praktika auf den Betrieben (Betriebspraktikum);
  • Die Verbesserung der technischen Ausbildungsvoraussetzungen in der Spezialisierung Landtechnik an den Pilotcolleges und die
  • Die Verbesserung der Zusammenarbeit Betrieb/Unternehmen und College.

Ein Beispiel für die Integration neuer Lehrinhalte in die Collegeausbildung stellt die Erweiterung der Lehrpläne in der Landtechnikausbildung um das Thema „Digitalisierung“ dar.

„Digitalisierung“ ist ein Begriff, der uns mittlerweile auf Schritt und Tritt verfolgt. Stets wird vermittelt, dass „Digitalisierung“ etwas Neues ist. Dabei ist es für viele Landwirte*innen eher Alltag. Sensorfütterung im Schweinestall? War vielleicht vor dreißig Jahren revolutionär. Tierindividuelle Brunsterkennung in Kuhstall? Ein alter Hut. Die elektronische Ackerschlagkartei?

Bis zu GPS-gesteuerten autonom fahrenden Ackerschleppern ist es trotzdem noch ein weiter Weg, da hierfür häufig noch die technische Infrastruktur (leistungsfähige Internetnetze) fehlt.

Während sich der gute alte Bauernhof bereits in den letzten zwanzig Jahren in einem hohen Maß zu einem High-Tech-Unternehmen mit digitaler Technik entwickelt hat, war das Thema „Digitalisierung“ in der Collegeausbildung noch weitgehend ein Fremdwort oder überhaupt nicht präsent.

Auf der Grundlage der ambitionierten Projektziele wurden in der Spezialisierung Landtechnik der Pilotcolleges im Rahmen des FABU-Projektes in den vergangenen 3 ½  Jahren folgende Projektmaßnahmen im Bereich der Lehr- und Lerninhalte realisiert:

 

Bereich Methodik und Didaktik

  1. Seminar “Fachdidaktik und Methodik in der Ausbildung in der Agrarwirtschaft” (12. bis 16.02.2018), Kyiv.
  1. Seminar „Verbindung von Theorie und Praxis am Lernort “Schule” – Lehrer*innen in handlungsorientierten Unterrichtssituationen” (22. bis 23.04.19), Lypkovativka.
  1. Seminar „Verbindung von Theorie und Praxis in College bei der Organisation des Lehrprozesses. Erkenntnisgesinnung durch Versuche” (15. bis 16.10.2019), Glukhiv
  1. Seminar “Erstellung kompetenzbasierter Lehrpläne für die Spezialisierung Landtechnik, Pflanzenproduktion und Elektrotechnik“ (27-28.10.2020), online.
  1. Seminar “Erarbeitung von Testfragen für das elektronische Prüfungssystem für die Spezialisierung Landtechnik, Pflanzenproduktion und Elektrotechnik“ (29. bis 30.10.2020), online.
  1. Webinar „Methodentraining zur Förderung von Lernkompetenz bei den Dozenten*innen der Spezialisierung „Pflanzenproduktion“, “Landtechnik“ und „Elektrotechnik“ (31.03. bis 02.04.2021), online.

 

Überarbeitung und Aktualisierung von Lehrmodulen

  1. Seminar “Handhabung moderner Pflanzenschutztechnik” (20. bis 22.06.18) Kyiv-Dorf Doslidnytzke.
  1. Seminar „Einstellung und Bedienung von Schleppern“ (11. bis 14.09.2018), Glukhiv.
  2. Seminar „Bodenbearbeitung und Saat, „Ansatzpunkte zur Organisation der fachpraktischen Ausbildung in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft” (11. bis 12.03.19), Kyiv.
  1. Seminar „Moderne Technik für Bodenbearbeitung und Saat“ (21. bis 23.05.19), Glukhiv.
  1. Seminar „Motoren- und Getriebetechnik sowie Fahrwerke von Traktoren“ (11. bis 13.06.19), Myrohoscha.
  1. Seminar „Ernteverfahren zur Heu- und Silagegewinnung“ (02. bis 05.11 2020), online.
  2. Webinar „Ausbringung organischer Wirtschaftsdünger“ (01. bis 04.02.2021), online.
  3. Webinar «Mechanische Unkrautbekämpfung» (25. bis 29.05.2021), online.

 

Neue Lehrmodule/Lehrinhalte

  1. Seminar “Digitalisierung in der Pflanzenproduktion” (02. bis 05.03.2020), Kyiv.
  2. Seminar „Precision Livestock Farming – Digitalisierung in der Tierproduktion“ (28. bis 30.09.2020), Kyiv, online-hybrid.
  1. Seminar „Einsatz der Photovoltaik in der Landwirtschaft” (02. bis 04.10.2019), Myrohoscha.
  1. Seminar „Einführung in die Digitalisierung“ (17. bis 19.11.2020), online.
  2. Seminar „Precision Farming – Digitalisierung in der Pflanzenproduktion“ (01. bis 03.12.2020), online.
  1. Vorlesung für die Studenten des Glukiv Agrarcollege und Myrohoscha Agrarcollege „Precision Livestock Farming – Digitalisierung in der Tierproduktion“ (07.12.2020), online.
  1. Seminar „Farm Management Information Systems (FMIS)“ (10-11.12.2020), online.
  2. Seminar „Digitale Herdenmanagementsysteme“ (16. bis 17.06.2021), Kyiv.

Das Seminar-/Webinarkonzept bei den Aus-, Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen in der Spezialisierung Landtechnik umfasst folgende Punkte:

  • Bereitstellung der Schulungsmaterialien vor dem Seminar-/Webinarbeginn in ukrainischer Sprache
  • Vermittlung der theoretischen Lehr-/Lerneinheiten durch die deutschen Dozenten*innen.
  • Fachpraktische Demonstrationen in der Praxis vor Ort oder mit Hilfe von Filmsequenzen durch die deutschen und/oder ukrainische Experten*innen
  • Fachpraktische Übungen in Echtzeit vor Ort unter Anleitung und Aufsicht deutscher und/oder ukrainische Experten*innen.

Mit den vorgestellten Maßnahmen wird das Projekt den Ansprüchen und Vorgaben der ukrainischen Bildungspolitik, aber auch dem Anforderungsprofil des BMEL durch eine engere Verzahnung zwischen dem Bildungs- und Produktionsbereich bei der Ausbildung von landtechnischen Fachkräften gleichermaßen gerecht.

Hans Georg Hassenpflug

 

Projektleiter FABU