Liebe Partner, Mitstreiter und Freunde des Projektes FABU,

 

Die vergangenen Monate haben uns alle vor sehr große Herausforderungen gestellt. Ungewissheit – gepaart mit Zukunftsängsten – und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit haben bei uns allen den Alltag sowie unser Denken und Handeln geprägt. Der Coronavirus hat die Grundlagen unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Miteinanders auf unbestimmte Zeit erschüttert. Die Regierungen versuchen seit Monaten mit milliardenschweren Konjunktur- und Krisenbewältigungsprogrammen die Folgen abzumildern, Kaufanreize zu setzen, zur Genesung der Wirtschaft beizutragen und damit letztendlich Existenzen zu sichern. Es bleibt zu hoffen, dass dies gelingt.

 

Wir alle waren und sind immer noch auf unterschiedliche Art und Weise von der Krise betroffen: Wir alle haben weltweit ein nicht kontrollierbares Kollabieren unseres Alltags und Zusammenlebens erlebt, wie wir es bisher nicht kannten.

 

Aber was passiert danach? Eine Studie des Zukunftsinstituts in Frankfurt am Main geht davon aus, dass die Welt aus dieser Krise lernt und gestärkt aus ihr hervorgeht. Nach Meinung der Wissenschaftler werden wir alle resilienter, passen uns besser den Gegebenheiten an und sind flexibler im Umgang mit Veränderungen. Eine Folge der Krise sehen sie darin, dass Unternehmen/Betriebe neue Geschäftsmodelle brauchen und sich unabhängiger vom Wachstum aufstellen müssen. Damit stellt sich die Sinnfrage nach dem Zweck des Wirtschaftens: Immer mehr Profit? Oder vielleicht doch bessere, sozial und ökologisch ausgewogenere/vorteilhaftere Problemlösungen?

 

Eines ist klar: Wir müssen uns mit den Folgen der Krise beschäftigen und nach Lösungen suchen um gestärkt aus der Krise zu gehen.

Dies hat die Albrecht-Thaer-Gesellschaft zum Anlass genommen sich in einem

„Brainstorming“ mit dem Thema

„Nationale und internationale Agrarmärkte im Corona-Modus – Auswirkungen und Konsequenzen für die europäischen/deutschen Erzeuger“

auseinanderzusetzen.

 

Die Corona-Pandemie habe die nationalen und globalen Agrarmärkte hart getroffen, zeitweise sogar ins Chaos gestürzt. Mit dieser Feststellung eröffnete Rainer Fabel, Direktor der Albrecht-Thaer-Gesellschaft, das Thaer-Frühstücks 2020, das am 14.Juli 2020 in Hannover stattfand. Für die Agrarbranche habe sich dadurch vieles verändert, erklärte Fabel. Zwar habe sich mittlerweile wieder vieles normalisiert und zum Besseren gewendet, festzuhalten sei aber, dass die Märkte extrem nervös seien und bereits auf kleinste Veränderungen reagieren würden. Preise und Handelsströme von Agrarprodukten wie Getreide, Milch, Fleisch, Gemüse wurden stark beeinflusst, sagte Fabel. Vor diesem Hintergrund sei er besonders gespannt auf die Einschätzung des Agrarberaters Dr. Klaus-Dieter Schumacher, der als Gastredner am Thaer-Frühstück teilnahm. Schumacher war 25 Jahre in der volkswirtschaftlichen Abteilung bei Toepfer International in Hamburg, anschließend Group Vice President bei der Nordzucker AG und General Manager Agricultural Markets and Strategy bei der BayWa AG. Seit 2016 ist er als freiberuflicher Berater in der Agrar- und Ernährungswirtschaft tätig. Das Thema seines Vortrages lautete: „Nationale und internationale Agrarmärkte im Corona-Modus – Auswirkungen und Konsequenzen für die europäischen/deutschen Erzeuger“.

An den Beginn seines Vortrags stellte Schumacher die These „Nicht die aktuelle Coronapandemie, sondern die sich wandelnden gesellschaftlichen und politischen Anforderungen und Rahmenbedingungen sind die Triebkräfte des Veränderungsdrucks in der Agrarbranche“. In seinen weiteren Ausführungen untermauerte er diese Aussage mit Daten zum aktuellen nationalen und internationalen Agrarmarktgeschehen am Beispiel der Märkte für Getreide, Soja, Raps und Sojabohnen (Preise, Angebots-  und Nachfrageentwicklung, Entwicklung der Lagerbestände und der Handelsströme).

Hinsichtlich der Weltmarktpreise beispielsweise für Getreide- und Ölsaaten hätten nach dem Beginn der Coronakrise vor allen Dingen der Rückgang der Erdölpreise, die zunehmende Angst vor einer globalen Rezession sowie die immer noch anhaltenden Handelskonflikte einen großen Einfluss gehabt. „Wir haben nicht nur einen, sondern mehrere Einflussfaktoren“, stellt Dr. Schumacher klar. So üben beispielsweise Risiken und Unsicherheiten bedingt durch das weltweite Witterungsgeschehen (USA, Südamerika, Australien)

  • die immer noch nicht gelösten Handelskonflikte USA/China und USA/EU
  • die Wechselkursentwicklungen (USD, EURO, Rubel)
  • das Wiederaufflammen der Afrikanischen Schweinepest in China
  • die daraus folgende Entwicklung der Nachfrage nach Schweinefleisch und die damit einhergehende Nachfrage nach Futtermitteln und
  • die Entwicklung der Weltkonjunktur

aus seiner Sicht einen größeren Einfluss auf die Weltmarktpreisentwicklung für Getreide aus als die Corona-Pandemie.

Der Einfluss von Corona auf das Marktgeschehen halte sich dagegen in überschaubaren Grenzen. Zwar habe es nach einer Phase mit Panikkäufen bei einzelnen Grundnahrungsmitteln größere Lücken in den Regalen der Supermärkte gegeben, aber keine „echten“ Versorgungsprobleme. Diese gefühlten Engpässe bei der Versorgung der Bevölkerung seien inzwischen längst behoben. Ursache seien nicht fehlende Rohstoffe, sondern vielmehr die Produktion „just in time“ und die dadurch fehlende Lagerhaltung bei Herstellern und Lieferanten gewesen. Außergewöhnlich sei die aktuelle Marktsituation dennoch. Einerseits erzielten Supermärkte Umsatzrekorde bei „Vorratsprodukten“ wie Kartoffeln, Mehl, Nudeln und Reis. Andererseits führte die komplette Schließung der Gastronomie über mehrere Wochen dazu, dass beispielsweise die „Pommes-Schiene“ zum Stillstand gebracht wurde. Dies beschreibe eine bisher nicht gekannte Ausnahmesituation bei den Handelsströmen.

Vor diesem Hintergrund sieht Schumacher allerdings ein großes Risiko, dass sich aus der Coronakrise heraus aufgrund nationaler Restriktionen bei der Warenausfuhr zunehmend ein „Konsumnationalismus“ entwickele. „Das ist eine für die gesamte Wirtschaft innerhalb der EU und Deutschlands schädliche Diskussion bzw. Entwicklung“, betonte er und fügte hinzu: „Mit der Coronakrise hat die Politik ein Vehikel in die Hand bekommen, um bisher nur schwer oder nicht realisierbare Maßnahmen durchzusetzen.“ Der Marktexperte wies exemplarisch auf die aktuelle Debatte in der Fleischbranche hin, die durch die Coronaausbrüche bei Tönnies und in anderen Schlachtunternehmen ausgelöst worden sei.

Perspektivisch betrachtet ist Schumacher überzeugt, dass es aufgrund des Wachstums der Weltbevölkerung sowie der veränderten klimatischen Bedingungen in Zukunft mehr Länder geben wird, die Lebensmittel importieren müssen und aktuelle Importländer größere Importmengen nachfragen werden. Langfristig werde die Nachfrage am Weltmarkt daher weiter steigen.

Die Corona-Pandemie habe für die deutsche Landwirtschaft auch Chancen eröffnet, konstatierte Schumacher. So habe sich zum einen die digitale Transformation beschleunigt und zum anderen sei großen Teilen der Gesellschaft klar geworden, dass die heimische Landwirtschaft qualitativ hochwertige Lebensmittel produziert. „Die Menschen erkennen nun, dass wir Lebensmittel aus Deutschland und Europa brauchen“, sagte Schumacher.

Die Albrecht-Thaer-Gesellschaft mit Sitz in Hannover will das Andenken an den Mediziner und Agrarreformer Albrecht-Daniel-Thaer (1752 – 1828) der Nachwelt sichern. Neben der Pflege des Erbes von Thaer hat sich der gemeinnützige Verein die agrarwissenschaftliche Erforschung und Begleitung des Landes Niedersachsen auf seine Fahnen geschrieben. In der Gesellschaft sind rund 800 verdiente Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Agribusiness und Landwirtschaft organisiert und bilden einen „Think Tank“ besonderer Güte der niedersächsischen Agrarwirtschaft. Direktor der Gesellschaft ist seit 2017 der Landwirt Rainer Fabel (Suhlendorf) und Sekretär  seit 2014 Hans Georg Hassenpflug (Dohren).

 

„Dennoch, die Gesellschaft hat sich verändert, das müssen wir anerkennen und uns entsprechend anpassen,“ meinte der Experte mit Blick auf künftige Marktentwicklungen – auch jenseits von Corona.  So werde es beispielsweise in den nächsten Jahren deutliche Veränderungen in der Tierhaltung und Fleischerzeugung geben. Ob dies kurz- und mittelfristig auch zu einer grundlegenden Neuausrichtung der Verbrauchsgewohnheiten (Trend zu regional/lokal erzeugten Lebensmitteln, mehr „Bio“, weniger Fleisch etc.) führen wird, bezweifelte er. Zwar erwartet er stark unterschiedliche Entwicklungen in den verschiedenen Sektoren, mit geringen Auswirkungen auf „commodities“ wie Getreide und eine stärkere Betroffenheit der Sektoren Obst und Gemüse oder des Fleischsektors. Alle diese Entwicklungen seien jedoch kein Anlass, aus der Globalisierung der Agrarmärkte auszusteigen.

Inwieweit sich die in der Coronakrise häufig zu findenden Schlagworte wie

  • Neuausrichtung der Lieferketten (mehr Regionalität),
  • Ausdehnung der Lagerhaltung (höhere Krisenreserven) oder
  • Steigerung der Selbstversorgung (größere Unabhängigkeit vom Weltmarkt),

tatsächlich als Triebkräfte für nachhaltige Veränderungen erwiesen, bleibe abzuwarten. Vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen sei dies aber eher unwahrscheinlich. Die wesentlichen Triebkräfte des Veränderungsdrucks in der Agrar- und Ernährungswirtschaft blieben die veränderten gesellschaftlichen und politischen Anforderungen, stellte der Referent abschließend fest.

 

Ein großer Teil der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion drehte sich um die Frage: Was kann die Landwirtschaft aus Corona lernen?

Einig war sich die Diskussionsrunde, dass die Landwirtschaft in den ersten Wochen nach dem „Shutdown“ so gut wie gar nicht betroffen war. Es stellte sich in der Praxis vornehmlich die Frage, was passiert mit meinem landwirtschaftlichen Betrieb, wenn bei mir direkt oder im unmittelbaren sozialen Umfeld eine Corona-Infektion auftritt? Im Laufe des April drehte sich dann der Wind für bestimmte Betriebszweige/Betriebstypen, da z. B. plötzlich die lieb gewonnenen ausländischen Saisonarbeitskräfte (Spargel- und Gemüseanbauer, etc.) fehlten. Die Masse der landwirtschaftlichen Betriebe war von dieser Entwicklung allerdings nicht betroffen.

Erst gegen Ende des Shutdowns zeigte sich, dass die Landwirtschaft nicht ungeschoren davonkommen wird, weil der konjunkturelle Einbruch der Weltwirtschaft sich nun auch auf die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten auszuwirken begann (Milch- und Schweinepreise im Sinkflug).

Nach Ansicht der Gäste des Thaer-Frühstücks erfolgte zu diesem Zeitpunkt bei vielen Betroffenen der Reflex, das eigene Geschäftsmodell zu überprüfen: Vielen stellte sich die Frage: Ist mein Betrieb richtig und krisenfest aufgestellt? Für viele habe sich der eherne Grundsatz „Liquidität kommt vor Rentabilität“ wieder einmal bestätigt. Es sei eschreckend gewesen zu sehen, wie gerade große, bisher profitable Unternehmen diesen Grundsatz komplett missachtet hätten und als erste staatliche Kredite in Milliardenhöhe in Anspruch nehmen mussten.

Und noch eins wurde in der Aussprache deutlich: Neben einer ausreichenden Liquidität gilt es, das eigene Geschäftsmodell immer im Blick zu haben. Jahrelang hieß die durch die Beratung unterstützte und geförderte Strategie für viele landwirtschaftliche Betriebe Wachstum und Spezialisierung, um die Kostenführerschaft im jeweiligen Segment, z. B. in der Milcherzeugung, zu erreichen. Die zu erwartenden Spezialisierungsgewinne tendierten jedoch irgendwann gegen null, die Kurve der „economies of scale“ flache sich merklich ab. Spätestens dann stelle sich die Frage „Was nun – weiter spezialisieren oder doch diversifizieren?“

Die klassischen Agrarmärkte sind außerordentlich volatil. Erträge aus Einkommenskombinationen (Diversifikation) dagegen beinhalteten häufig auch mehr oder weniger feste Größen und sind damit kalkulierbarer, lautete ein Argument. Fatal werde es in der Praxis dann, wenn die Risiken der Spezialisierung die „economies of scale“ auffressen. Spätestens jetzt müsse das Geschäftsmodell hinterfragt werden.

Gerhard Schwetje, Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, stellte vor dem Hintergrund dieser Diskussion fest, dass die Landwirte ein Geschäftsmodell benötigten, das auch und besonders die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen impliziere. Positiv formulierte es abschließend Rainer Fabel: „Es gibt einen Wandel der gesellschaftlichen Anforderungen. Diesen Wandel sollte die Landwirtschaft als Chance sehen und nutzen.“

 

Epilog

Für das Verständnis, die Beurteilung und Planung von landwirtschaftlichen Unternehmen sowie die Entwicklung eines tragfähigen und nachhaltigen Geschäftsmodells sind betriebswirtschaftliche Bewertungen von Produktionsverfahren unerlässlich. Dazu sind reale und belastbare Daten erforderlich. Die Qualität der bisher verfügbaren betriebswirtschaftlichen Datenbasis in der Ukraine ist dafür nicht geeignet.

Fehlende sachgerechte betriebswirtschaftliche Informationen auf der Ebene der Produktionsverfahren behindern nicht nur die Betriebsplanung sondern auch die Aus-, Fort- und Weiterbildung und führen zu einer praxisfernen Darstellung der Produktionsmöglichkeiten und   -bedingungen.

Die Komponente „Unterstützung der betriebswirtschaftlichen Datensammlung für den vorhandenen Masterstudiengang Agrarmanagement“ (UFMD) des Projektes FABU hat sich daher zum Ziel gesetzt die aufgezeigten Defizite zu beheben, um ein wichtiges Werkzeug des landwirtschaftlichen Managements zu erarbeiten.

Die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT), die NULESU in Kiev, die SNAU in Sumy,  die MNAU in Mykolayiv und die NUWME in Rivne arbeiten gemeinsam an dieser Maßnahme/Aufgabe.  Im Jahr 2019 wurde mit der On-farm Datensammlung auf 29 Betrieben begonnen. Erste Ergebnisse sind erfolgversprechend. So konnten mit Hilfe der gewonnenen Daten bereits im Jahr 2019 an der NULESU Deckungsbeiträge in 3 Studiengängen, an der SNAU in 4 Studiengängen, an der MNAU in 4 Studiengängen und an der NUWME in 3 Studiengängen berechnet werden. Der Anfang ist gemacht. Keine schlechten Voraussetzungen um zukünftig die Produktions- und Marktsteuerung sowie Unternehmensentwicklung in der Betriebspraxis und der Ausbildung qualitativ besser und zielgerichteter durchzuführen.

 

Hans Georg Hassenpflug, Projektleiter FABU und Sekretär der Albrecht Thaer Gesellschaft