Nach Wochen der Unsicherheit, des Wartens, immer neuer Regelungen und dadurch bedingt neuer Dokumente – es schien geschafft. Am 16. Juli um 17.35 Uhr sollten sechsundzwanzig zufriedene und glückliche Studenten und Studentinnen in der Lufthansamaschine LH 1495 von Kiew nach Frankfurt sitzen in der Erwartung eines ihrer bisher größten Abenteuer ihres Lebens „Praktikum in Deutschland“.

Ein großes Lob und eine herzliches „Danke schön“ an alle Beteiligten, die zum Erfolg dieser Aktion in dieser schwierigen Zeit beigetragen haben. Sorry, aber es muss sein: An erster Stelle möchte ich meine Mitarbeiter Olga Luchynska und Andriy Getya nennen, ohne ihre Ausdauer und ihr Engagement hätten wir heute dieses Ergebnis nicht. Danke. Weitere ganz wichtige Akteure, helfende und unterstützende Hände waren in der Visastelle (Herr Tannenberger und Mitarbeiter), der deutschen Botschaft (Hermann Intemann und Team), bei ADT (Ekkehard Schröder, Eduard Lutz, Elena Skuratov und Jens Asmuth), AKI (Falk Kullen, Olga Rybakova), NMC VFPO (Tetjana Ischenko und MitarbeiterInnen) und den Colleges. An dieser Stelle möchte ich auch die Familien der sechsundzwanzig landwirtschaftlichen Betriebe nennen, die in dieser verrückten Zeit den Studierenden ein zu Hause bieten werden und sie in handlungsorientiertes Lernen einführen bzw. ihnen die Praxis näherbringen werden. Der Erfolg der Maßnahme hängt jetzt ganz entscheidend von Ihrem Einsatz ab und wird sich erst im Dezember 2020 zeigen, wenn die Praktikanten/Praktikantinnen die Rückreise antreten.

Doch nun zur Chronologie:

Im September letzten Jahres wurde durch die ARGE Gruppe des FABU-Projektes unter der Leitung von Ekkehard Schröder in Abstimmung mit Herrn Erik Schneider (BMEL) und Frau Anna Culca von der GFA entschieden, trotz bereits erfüllter Indikatoren (Ergebnis 4: Im Rahmen des Praktikantenaustauschprogramms sind  mindestens 30 Studenten/Studentinnen nach Deutschland zu vermitteln) im Jahr 2020 eine weitere Studierendengruppe nach Deutschland zu senden. Ab Oktober begannen die Vorbereitungen (Information der Colleges, Auswahl der Studierenden etc.) und die Deutschkurse für die ausgewählten Teilnehmer/Innen. Alles war auf einem guten Weg. Ab Februar 2020 dann der Einstieg die eigentlich heiße Phase der Vorbereitung Umsetzung (Reisepass beantragen, Visa beantragen, usw.).

Und plötzlich „Corona“. Es geht nichts mehr. War der bisherige Aufwand umsonst? Welche Chancen haben wir den Traum der jungen Menschen eines Aufenthalts in Deutschland doch noch zu erfüllen?

Ein ständiges emotionales Auf und Ab in der Gefühlslage der handelnden Akteure. Nach einigen unruhigen Nächten, vielen Telefonaten, Skype-Meetings und viel Nervennahrung dann der gemeinsame Entschluss: Wir versuchen es!

Ohne Blaupause, ohne Sicherheitsnetz mit fast täglich neuen oder geänderten Vorgaben und einem nicht endenden Lernprozess konnten mit viel Geduld und in müßiger Kleinarbeit seit April die Voraussetzungen für die Ausreise der Studierenden geschaffen werden. Alleine über die Erfahrungen aus dieser Zeit lässt sich ein Buch schreiben. Immer, wenn wir glaubten jetzt haben wir es, eine neue Hürde. 2018 und 2019 ein Kinderspiel gegenüber dem administrativen Aufwand in 2020.

Hier die nicht vollständige Liste an Reisedokumenten für ein Praktikum in Deutschland. Ein Irrsinn.

  • Biometrische Passbilder anfertigen
  • Reisepass beantragen
  • Visum beantragen
  • Ukrainischer Personalausweis
  • Traktorführerschein (internationaler Standard) – sofern vorhanden
  • PKW-Führerschein (internationaler Standard) – sofern vorhanden
  • Ärztliches Gesundheitszeugnis ausstellen lassen
  • Bescheinigung über die Tetanus-Impfung ausstellen und ins Deutsche übersetzen lassen
  • Optional – Bescheinigung über die FSME-Impfung (= Zecken-Impfung) ausstellen lassen und ins Deutsche übersetzen lassen
  • Röntgenbild der Lunge (Fluorographie) anfertigen lassen
  • Bescheinigung vom Fachcollege über die Immatrikulation inklusive Ausstellung eines Studentenausweis
  • Bescheinigung (Studium, Schule) der Bundesagentur für Arbeit
  • Optional – Internationales Studententicket ISIC beantragen.
  • Bestätigung der Zustimmung der Eltern zur Teilnahme an dem Praktikum
  • Reisealternativen (Bahn, Bus oder Flugzeug) checken und buchen

Das war es wohl. Zu früh gefreut. Die Bundespolizei braucht noch eine Erklärung zum Aufenthaltsgrund und die Kontaktdaten der Gastfamilie.

  • Schreiben für die Bundespolizei

Ach und da ist ja auch noch Corona. Um an der Grenze die Kontrollen zu vereinfachen und die Risiken eines Einreiseverbotes zu minimieren ist es sinnvoll einen

  • Corona-Test durchführen.

Doch jetzt ist alles geschafft. Das Gegenteil ist der Fall, der Super Gau tritt ein.

Die Ergebnisse von fünfundzwanzig Corona-Tests sind negativ. Der Letzte lässt auf sich warten. Alle Studenten sitzen im Bus um zum Flughafen zu fahren. Jetzt kommt der Anruf vom Krankenhaus, das Testergebnis ist positiv. Die betroffene Person darf in keinem Fall ausreisen. Schock! Die ganze Arbeit und der finanzielle Aufwand waren umsonst.

Was tun. Hektisches Treiben, Telefon- und Skype-Meetings parallel. Schließlich aufgrund der hohen Risiken, einige Gruppenmitglieder hatten Kontakt zu der infizierten Person, die Entscheidung: Die Uhren werden zurückgedreht.

Statt Praktikum in Deutschland erst einmal zwei Wochen Quarantäne bei NMC VFPO in Kiew.

Die Betriebe werden informiert, die Unterkünfte und der Bus für die Transporte in Deutschland werden abgesagt, die Flüge storniert (für eine Umbuchung ist es zu spät) und so weiter und so fort. Einfach nur ärgerlich und schade.

Frust. Enttäuschung. Ich könnte einfach nur heulen. Die emotionale Achterbahn erreicht einen neuen Höhepunkt. Ein kurzes Schütteln, dann die „Trotzreaktion“ (jetzt erst recht!!!), das kann es nicht gewesen sein. Packen wir es an – also auf ein Neues und die Hoffnung, dass es in zwei Wochen klappen wird.

Das Alles muss ich erst einmal verdauen. Da hilft ein Wodka.

Ihr

 

Hans Georg Hassenpflug

Projektleiter FABU